25. Februar 2021 von Lisa Basten
Als einzige Gruppe von Selbstständigen werden für die Versicherten in der KSK fünfzig Prozent der Beiträge für die gesetzliche Renten-, Pflege- und Krankenversicherung von verwertenden Unternehmen und dem Bund übernommen. Doch wer zu viel aus nicht-künstlerischer Tätigkeit hinzuverdient, gilt nicht mehr als hauptberufliche*r Künstler*in und verliert den privilegierten Status. Für viele der prekär arbeitenden Künstler*innen bedroht das die einzige finanzierbare Option zur Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Ausschlussmechanismus greift auch, wenn aufgrund der Pandemie Theater und Galerien geschlossen werden, Aufträge von Unternehmen ausfallen und Lesungen oder Konzerte online ihr Publikum finden müssen.
Im letzten Jahr ist es für viele Künstler*innen notwendig geworden, wegbrechende Einkommen irgendwie zu kompensieren. Immerhin, der Bezug von Corona-Hilfen oder ALG-II („Hartz-4“) bleibt dabei ohne Konsequenzen für den Status als KSK-Versicherte*r. Wer allerdings eigeninitiativ branchenfremden Tätigkeiten nachgeht, zum Beispiel im Bereich der Pflege oder der Bildung, muss genau hinschauen: Die Konsequenzen sind extrem unterschiedlich, je nachdem, ob dies im Anstellungsverhältnis geschieht oder als Selbstständige*r.
In einem Fall – der nicht-künstlerischen Anstellung – hängt der Versicherungsschutz über die KSK also davon ab, ob im Hauptberuf künstlerisch gearbeitet wird oder nicht. Im anderen Fall – der nicht-künstlerischen Selbstständigkeit – endet der Versicherungsschutz unabhängig davon, welcher Bereich der wirtschaftlich bedeutendere ist.
ver.di fordert schon seit vielen Jahren, dass die Kranken- und Pflegeversicherung über die KSK läuft, solange die künstlerische Tätigkeit überwiegt – auch wenn nebenbei selbstständig in anderen Bereichen gearbeitet wird. Denn die Crux an der bisher geltenden Ungleichbehandlung ist, dass dem/der Künstler*in mit selbstständiger Nebentätigkeit immense Mehrkosten drohen. Bei einer Nebentätigkeit im Angestelltenverhältnis hat der Verlust des Krankenversicherungsschutzes über die KSK vielleicht emotionale, aber keine finanziellen Konsequenzen: Die zweite Hälfte der Beiträge wird ja weiterhin übernommen.
Der/die Selbstständige hingegen trägt die Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung außerhalb der KSK zu hundert Prozent. Dabei wird darüber hinaus ein Mindesteinkommen von 1.096,67 Euro (im Jahr 2021) angenommen und nicht das tatsächliche Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit zugrunde gelegt. Die Beiträge liegen so bei mindestens 201,24 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung. Der Verlust der Versicherung über die KSK ist für die Künstler*innen mit oft sehr geringen Einkommen und Arbeitsrealitäten ohne große Rücklagen daher oft sehr schwer oder gar nicht zu verkraften. Dass Künstler*innen den Schutz der KSK aufgrund einer selbstständigen Nebentätigkeit in einer anderen Branche verlieren, obwohl sie weiterhin im Hauptberuf künstlerisch tätig sind, ist nur schwer nachzuvollziehen und geht an der Erwerbsrealität vorbei.
Die Künstlersozialkasse selber hat keinen Einfluss auf dieses Problem der Ungleichbehandlung von Nebenerwerbsformen. Sie setzt um, was im Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) steht: Ausgeschlossen wird, wer „eine nicht [künstlerische oder publizistische] selbständige Tätigkeit erwerbsmäßig ausübt“ (KSVG §5). Allerdings ruht die Begründung für diesen Ausschluss auf längst überholten Vorstellungen von Selbstständigkeit, von künstlerischen Berufen und nicht zuletzt von unserer Arbeitswelt:
Zur Entstehungszeit des KSVG in den 1980er Jahren waren typische Selbstständige Ärzte, Rechtsanwälte und andere gutgesicherte und gutverdienende Berufsgruppen. Es sollte verhindert werden, dass diese von der Versicherung der KSK profitierten. Angesichts „der Situation des angesprochenen Personenkreises“ erscheine es „nicht notwendig“, sie in die Versicherungspflicht einzubeziehen (Begründung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 13.5.1980). Auch in den Gesetzesentwürfen von 1979, 1980 sowie final 1981 wurden explizit Personen ausgeschlossen, die „bereits anderweitig gesetzlich gesichert oder nach allgemeinen Regeln von der Versicherungspflicht ausgenommen sind und eines Krankenversicherungsschutzes im Rahmen dieses Gesetzes deshalb nicht mehr bedürfen“.
Klar wird: Es ging damals darum, eine finanziell bereits gut abgesicherte Gruppe Selbstständiger von der Privilegierung durch die KSK auszuschließen, selbst wenn sie nebenbei künstlerisch tätig war. Es ging nie um den Zuverdienst, mit dem ein*e Künstler*in sein/ihr künstlerisches Schaffen oft stabilisiert oder erst ermöglicht. Dem Gesetzgeber war vor rund 40 Jahre schlicht nicht bewusst, welche Tätigkeiten in Zukunft alle (auch) selbstständig ausgeübt werden können. Heute aber ist Selbstständigkeit keineswegs mehr grundsätzlich gleichzusetzen mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit und sozialer Absicherung.
Ebenfalls nicht bewusst war dem Gesetzgeber damals, in welchem Umfang Mehrfacharbeit in die Arbeitswelt Einzug halten würde. Mehrere selbstständige Tätigkeiten parallel auszuüben oder selbstständige und abhängige Tätigkeit zu kombinieren ist heute auch außerhalb kreativer Branchen kein Sonderfall mehr.[i] Zur Realität künstlerischer und publizistischer Berufe gehört häufig ein Zuverdienst, um trotz stark schwankender Einkommen Existenzen zu sichern. Wenn dieser Zuverdienst aufgrund einer sich wandelnden Arbeitswelt zunehmend selbstständig ausgeübt wird, darf dies nicht den grundsätzlichen und bahnbrechenden Konsens in Frage stellen, auf dem das KSVG und mit ihm die Künstler*innenbiografien des Landes seit 40 Jahren ruhen: Dass Künstler*innen in der Bundesrepublik in das Sozialversicherungssystem integriert sein müssen.
Kurz: Es wird Zeit, dass die anachronistische Regelung, nach der ein Zuverdienst aus selbstständiger Tätigkeit zum Verlust des Versicherungsschutzes in der KSK führt, an das 21. Jahrhundert angepasst wird.
Die Corona-Pandemie verdeutlicht diese Notwendigkeit in bitterer Schärfe.
[i] vgl. unter anderem Bührmann et al. (2018) Hybride Erwerbsformen. Wiesbaden: Springer
Derzeit steht noch in den Sternen, ob und wann analoge Gruppenveranstaltungen, die den Arbeitsmarkt für Kulturschaffende vor der Pandemie maßgeblich prägten – Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Theateraufführungen, Festivals usw. – wieder im selben Maße Publikum anziehen. Wie es um die Kulturetats in Zukunft bestellt sein wird, ebenfalls.
Deshalb ist es wichtig, dass der Diskurs um die soziale Lage von Künstler*innen gerade erneut Aufwind bekommt und von einzelnen Stimmen mit Verve und Öffentlichkeit geführt wird! Allerdings: die Probleme sind nicht neu. Neben unbürokratischen Sofortmaßnahmen sollte der Blick für langfristige Lösungen nicht verlorengehen. Die geforderten Anpassungen der Regularien der Künstlersozialkasse an die Arbeitsrealitäten von Künstler*innen und Publizist*innen der Gegenwart sind ein wichtiger Baustein zu einer faireren und sozial gerechteren Arbeitswelt der Zukunft.
Die Autorin: Lisa Basten leitet den ver.di-Bereich Kunst & Kultur
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