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Vertrauen ist gut – Kontrolle doch besser?

Freie, die Coronahilfen beansprucht haben, werden vermehrt aufgefordert, Nachweise zu liefern.
04.08.2021


Soloselbstständige und Freiberufler*innen, die in der Pandemie Coronahilfen der Länder und des Bundes in Anspruch genommen haben, bekommen vermehrt Post von Landesbanken oder Behörden, Nachweise zu liefern bzw. unberechtigt Erhaltenes zurückzuzahlen. Vielfach sorgt das für Verunsicherung und Frust. Das ver.di-Referat Selbstständige und der ver.di-Kulturbereich tragen per Mitgliederinformation zur Versachlichung bei. Unmut bleibt.

4. August 2021 von Helma Nehrlich 

 

Das kann nicht verwundern. Häufen sich doch in letzter Zeit Anfragen und Nachrichten über krasse Fälle, in denen neben Rückzahlungsaufforderungen Ermittlungen wegen Subventionsbetrug angedroht werden. So geschehen etwa bei einem Berliner Künstler, der – obwohl er die beantragten 5.000 Euro nur zwei Wochen auf seinem Konto und gemäß Förderbedingungen wegen einer zweiten Tätigkeit zähneknirschend zurückgezahlt hatte – nach Wochen gleich Post vom Landeskriminalamt bekam. Frustrierte Musiker*innen im Norden befürchten, dass sie das wenige Geld, das sie im vergangenen Frühjahr erhalten und längst ausgegeben haben, nun mit den knappen Gagen zurückerstatten müssen, die sie gerade bei ersten möglichen Auftritten im Hamburger Kultursommer 2021 einnehmen. In Nordrhein-Westfalen will eine ganze Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe zu Tausenden koordiniert gegen Rückzahlungsforderungen vorgehen. Übertreibung? Einzelfälle?

Freilich gibt es auch andere Stimmen. So berichtet ein Berliner Pressefotograf, dass er das Coronajahr 2020 dank der Hilfen wirtschaftlich nahezu auf dem Niveau von 2019 abschließen konnte. Er habe sich um jede erdenkliche Förderung bemüht, viel Zeit und Nerven auf die Beantragung verwendet und genau auf die jeweiligen Bedingungen geachtet. Deshalb habe ihn die Mail, mit der die hauptstädtische IBB forderte, die erhaltenen Mittel mit dem „tatsächlichen Bedarf abzugleichen“, wenig beunruhigt. Dass man als Freiberufler*in dank verschiedener Hilfsprogramme in der Pandemie „relativ zügig zu Geld“ kommen konnte, bestätigt auch ein Journalistenkollege aus dem Münsterland. Ihn treibt um: Zu dem frühen Zeitpunkt, als er die erste Coronasoforthilfe des Bundes beantragte, sei eine strenge Unterscheidung zwischen Betriebsausgaben und Lebensunterhalt noch gar nicht gemacht worden. Er ging davon aus, dass ihm Förderung für beides zusteht: „Habe ich als Bürger nun einen Rechtsanspruch darauf, dass der Staat etwas zunächst Zugesagtes hält oder kann das nachträglich verändert werden?“ Wie Tausende andere auch soll der Freie bis Ende Oktober digitale Formulare ausfüllen, „um den tatsächlichen Liquiditätsengpass zu ermitteln“ und womöglich Teile zurückzahlen.

Wer gibt, macht (nachträglich) die Regeln?

Angesichts von Milliardenspritzen für Lufthansa und Co. erscheint solches Ansinnen kleinlich, wenn nicht völlig deplatziert. Zumal, wie eine kleine Anfrage der FDP im Juli bestätigte, längst nicht alle im Bundeshaushalt für Hilfsprogramme eingeplanten Gelder überhaupt abgerufen wurden. Auch die oft beschworenen Betrugsfälle halten sich demnach in Grenzen. Eine Sondererhebung des Bundeskriminalamtes erfasste für 2020 reichlich 17.000 Strafverfahren wegen Subventionsbetrugs im Zusammenhang mit Coronasoforthilfen. Gemessen an den bewilligten Anträgen ist das ein Anteil von lediglich einem Prozent. Zudem: Viele hilfsbedürftige Autor*innen, Künstler*innen und andere Solo-Selbstständige, das hat ver.di früh kritisiert und gegenüber der Politik immer wieder angemahnt, fielen wegen der Spezifik ihrer Arbeits- und Lebensrealität völlig aus dem Raster jeglicher Coronahilfen. Ihnen blieb nur Hartz IV.

Ungeachtet dessen wird derzeit in vielen Bundesländern überprüft, wie die im Jahr 2020 ausgezahlten Coronahilfen der Länder und des Bundes verwendet wurden. Besonders umfangreich geschieht das in Hamburg, wo alle 54.000 Empfänger*innen der Hamburger Coronasoforthilfe zur Rückmeldung aufgefordert sind, in NRW betrifft das 430.000 Kleinstbetriebe mit maximal fünf Beschäftigten. Aber auch in Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz wird geprüft. Speziell im Fokus stehen die Coronasoforthilfen des Bundes im ersten Lockdown, die für April bis Juni 2020 beantragt werden konnten.

Realitätsfremd: Betriebsmittel statt Lebenshaltung

„Es zeigt sich jetzt, wie wenig die Hilfen in 2020 (und das gilt nicht nur für die ersten Soforthilfen) auf Solo-Selbstständige ausgerichtet waren“, heißt es in einem am 2. August versandten ver.di-Mitgliederbrief. Die Gewerkschaft habe seit dem Frühjahr 2020 immer wieder darauf hingewiesen, dass den meisten Solo-Selbstständigen mit den Programmen nicht angemessen geholfen sei. „Schlimmer noch: Obwohl wir gemeinsam mit vielen Verbänden und Initiativen die fehlenden wirtschaftlichen Hilfen sowie die mangelnde Wertschätzung und die fehlende Gerechtigkeit gegenüber Solo-Selbstständigen in die öffentliche und gesellschaftliche Wahrnehmung rücken konnten, wurden Solo-Selbstständige von den meisten Politiker*innen ignoriert und mit dem Verweis auf die Grundsicherung abgespeist.“

Unverständnis dafür, dass Lebenshaltungskosten die „Betriebsmittel“ der Solo-Selbstständigen sind, hätten dazu geführt, dass erste Anpassungen in den Hilfsprogrammen weg vom reinen Fixkostenersatz hin zu einem Einkommensersatz erst nach massiven Protesten ab November 2020 erfolgten. Verbesserungen hätten auch bei der Regelung zur Nebentätigkeit in der Künstlersozialkasse (KSK), beim Arbeitslosengeld für Selbstständige und bei der Neustarthilfe erreicht werden können – der ersten Hilfe, die für alle Solo-Selbstständigen zugänglich ist und auch für den Lebensunterhalt verwendet werden darf.

Trotz solcher Nachbesserungen sieht ver.di darin keine echte Lösung. Der Vorschlag wäre vielmehr, Solo-Selbstständigen und Freiberufler*innen den Gewinnausfall sowie die betrieblichen Fixkosten so zu ersetzen, dass ein Einkommen in Höhe von 75 Prozent des Vorkrisenniveaus gesichert wird.

 
Die Schriftstellerin Carmen Winter faltete am 27. Juni 2021 in der Marienkirche Frankfurt/Oder 100 Texte aus ihrem Coronatagebuch zu Schiffchen und verschenkte sie an Interessierte.

Die ich rief, die Geister …

Doch was gilt hinsichtlich der momentanen Überprüfungen? Dass sie rechtmäßig sind, stehe außer Zweifel, so die Mitgliederinformation: „Bei der Antragsstellung wurde darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Bedarf im Nachhinein überprüft wird“, das passiere nun. Krititisch sei vor allem der Förderzeitraum ab April 2020, als „alle Länder, die überhaupt ein Hilfsprogramm aufgelegt hatten, unter massivem Druck des Bundes auf dessen Linie“ einschwenkten: Wirtschaftliche Hilfe sollten nur Solo-Selbstständige mit hohen Fixkosten erhalten, alle anderen wurden von wirtschaftlichen Hilfen faktisch ausgeschlossen.

„Wer die Soforthilfen beantragt hat, um damit im Lockdown Miete, Essen, KiTa-Gebühren oder Kredite zu bezahlen, war dazu nicht berechtigt“, heißt es im Mitgliederbrief: Ausgefallene Einkommen von Journalist*innen, Autor*innen, selbständig arbeitenden Veranstaltungstechniker*innen und Künstler*innen „sollten also – und das wird Vielen erst jetzt wirklich bewusst – mit den Soforthilfeprogrammen von 2020 gar nicht ausgeglichen werden.“ Anfänglich konnte das vielen Antragsteller*innen gar nicht klar sein, „weil zu Beginn der Pandemie in jedem Bundesland, das überhaupt ein Hilfsprogramm auf die Beine gestellt hat, dazu eigene Regeln gestrickt und diese bis etwa Mitte April noch ständig verändert wurden. – Nun werden die Hilfen in der Regel auf der Grundlage der späteren, restriktiven Bundeslinie abgerechnet und dabei oft zumindest teilweise zurückgefordert.“ Es zeige sich überdeutlich, „dass Solo-Selbstständige von Teilen der Politik nicht als Teil ‚der Wirtschaft‘ gesehen oder anerkannt werden“.

Praktisch sei bei Rückzahlungsforderungen länderspezifisch mit unterschiedlicher Handhabung zu rechnen, so die Autor*innen der Mitgliederinformation. In Hamburg beispielsweise dürften – wenn der Gewinn coronabedingt zurückging – jene 2.500 Euro Landesmittel behalten werden, die speziell für Solo-Selbstständige als „zusätzliche pauschale Förderung in Höhe von 2.500 Euro zur Kompensation von Umsatz- und Honorarausfällen“ ausgezahlt wurden. Für die bis zu 9.000 Euro Bundesmittel gelte jedoch: Anfang April wurden die Soforthilfeprogramme in allen Ländern mit den Bundesmitteln synchronisiert und auf Fixkostenersatz ausgerichtet. „Unterschiedlich intensiv wurde dann von den Ländern behauptet, das wäre schon immer so gemeint gewesen.“ Je nach Verfahren und je nach Landesabrechnung differenziert, dürften nun noch die Verwaltungsgerichte gefragt sein, „ob und welche Teile der Hilfen tatsächlich zurückzuzahlen sind“.

Aus der Defensive

Unabhängig davon, ob einzelne Bundesländer oder ihre Förderbanken bereits Aufforderungen versandt haben, sollten Empfänger*innen von Coronasoforthilfen selbst prüfen, ob sie die Grundbedingungen der Beantragung eingehalten haben – etwa ob Selbstständigkeit ihr Hauptberuf ist und wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht etwa bereits zuvor bestanden. Sie sollten nachrechnen, ob Betriebskosten (etwa gewerbliche Mieten, Leasingkosten etc.) tatsächlich in der beantragten Höhe nachgewiesen werden können oder ob sie zeitgleich andere Coronahilfen ausgezahlt bekommen haben. „Meist kann, wer erst jetzt gemerkt hat, dass er/sie nicht antragsberechtigt war, das Geld ohne Prüfung zurückzahlen. – Da die Bedingungen der Hilfen oft erst im Nachhinein konkretisiert und die FAQ der offiziellen Stellen wiederholt geändert wurden, dürfte das in der Regel auch nicht im Vorwurf des versuchten Subventionsbetrugs münden, wie Viele derzeit befürchten“, so der ver.di-Rat.

Wenn das erhaltene Geld längst verbraucht ist und Rückforderungen zu einem Zeitpunkt kommen, da viele gerade wieder beginnen könnten, Einkommen zu erzielen, solle man die rückfordernde Bank um Stundung und/oder um eine Rückzahlung in Raten ersuchen.

In Fällen, „in denen bis heute leidlich unklar ist, zu welchen tatsächlichen Bedingungen die Hilfe ausgezahlt wurde und ob eine Rückforderung zu Recht verlangt wird“, könnten sich Mitglieder an ihre ver.di-Bezirke wenden. Diese würden entscheiden, ob sie die politischen Verbindungen nutzen oder bei groben Falschbescheiden individuellen Rechtsschutz gewähren.

Auch an anderer Stelle des Mitgliederschreibens herrscht Realismus: Tatsächlich sei es in der Coronakrise nicht gelungen, bei der Politik mehr durchzusetzen. „Dass die Regierung andere Prioritäten setzt und andere Lobbygruppen einen stärkeren Einfluss geltend machen konnten, war und ist unverkennbar.“ Das zu ändern und für eine gerechte Umverteilung öffentlicher Ressourcen zu sorgen, bleibe eine politische Daueraufgabe.

Dennoch: Der Einstieg in die überfällige Diskussion, wie Solo-Selbstständige gerecht und gleichwertig in die Arbeitswelt und die soziale Sicherung integriert werden können, sei in der Politik angekommen. Leitbild von ver.di sei die Akzeptanz und Wertschätzung der solo-selbstständigen Erwerbstätigkeit. „Wir bleiben da gemeinsam dran. Forderungen, die jetzt nicht umgesetzt worden sind, sind trotzdem in der Welt, sie wurden und werden gehört. Solidarität über Berufsgruppen hinweg und eine starke Organisation ist mit Sicherheit der einzige Weg, Verbesserungen durchzusetzen“, zeigen sich Veronika Mirschel und Gunter Haake aus dem ver.di-Selbstständigen-Referat und Lisa Basten für den Bereich Kunst und Kultur überzeugt. Sie verweisen zudem mit Blick auf die Bundestagswahlen auf weitere große Themen rund um die Selbstständigkeit, etwa zu möglichen Basishonoraren, die Förderpraxis oder die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme.

Alles, was nötig ist?

Angesichts der Überprüfungen bleibt mehr als ein fader Beigeschmack. Wem nützen absehbare Klagefluten? Im November 2020 wurde geradezu euphorisch die staatliche „Neustarthilfe für Solo-Selbstständige” mit einem Zeithorizont bis Juni 2021 angekündigt. Sie soll der „besonderen Situation von Solo-Selbstständigen, insbesondere Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffenden Rechnung tragen”. Mit der Neustarthilfe Plus wird sie nun bis Ende September verlängert. Die Querelen um Prüfungen und Rückzahlungen, teilweise gar Kriminalisierungen werden Solo-Selbstständige und Freiberufler*innen gewiss nicht ermuntern, ihnen Zustehendes zu beantragen. Dabei sind von den insgesamt 65 Milliarden Euro, die der Bundeshaushalt 2021 für Coronawirtschaftshilfen bereitstellt, in der ersten Jahreshälfte lediglich rund 25 Milliarden an die Länder transferiert oder direkt an die Antragsteller*innen ausgezahlt worden. Die „Bazooka“, whatever it takes? Viele Betroffene in den Medien, der Kunst und Kulturwirtschaft wurden in der Krise nicht nur vom Staat weitgehend allein gelassen, sondern nun zusätzlich frustriert.

Das ver.di-Referat Selbstständige startete sofort zu Pandemiebeginn einen Corona-Infopool, informiert laufend über Neuerungen und liefert aktualisierte FAQ für Solo-Selbstständige.

Zeiträume und Fristen verlängert: Die „Neustarthilfe Plus“ schließt mit höheren Vorschüssen an die Neustarthilfe an und umfasst die Förderzeiträume 1. Juli bis 30. September und 1. Oktober bis 31. Dezember 2021. Die Förderbedingungen für beide Förderzeiträume sind identisch. Die Neustarthilfe Plus unterstützt weiterhin Solo-Selbstständige, Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, unständig Beschäftigte sowie kurz befristete Beschäftigte in den darstellenden Künsten bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie.

Die Antragsfrist für den Förderzeitraum Juli bis September 2021 endet am 31. Dezember 2021 (verlängert), die für den Förderzeitraum Oktober bis Dezember 2021 ebenfalls am 31. Dezember 2021.

Die Autorin: Helma Nehrlich arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


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