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Debatte: Wie die Arbeit der Zukunft gestalten?

Am 6. Oktober 2021 fand zum vierten Mal die Plattformkonferenz LABOR.A statt.
06.10.2021


LABOR.A heißt die Plattformkonferenz der Hans-Böckler-Stiftung zur Zukunft der Arbeit, die am 6. Oktober 2021 bereits zum vierten Mal Akteure aus Gewerkschaften, Politik, Wissenschaft und Betrieben zu Austausch und Ideenschmiede zusammenbrachte. Das umfangreiche Programm allein mit 19 verschiedenen Sessionen wurde gemeinsam mit vielen der 50 Partnerinstitutionen vorbereitet. Mit ver.di-Beteiligung standen auf der Agenda auch die Situation der Solo-Selbstständigen und Fragen künftiger Arbeitsgestaltung, nicht nur im Kulturbereich.

6. Oktober 2021 Von Helma Nehrlich 

 
Die LABOR.A 2021 lief hybrid: Dorothea Voss (l.) und Moderatorin Julia Kropf (r.) mit DGB-Vorsitzendem Reiner Hoffmann (Mitte) hatten weitere Podiumsteilnehmende zugeschaltet.

„Connecting Ideas in Social Distance“ bildete in diesem Jahr ein Motto der Konferenz, die zumindest wieder in hybrider Form stattfinden konnte. Leibhaftig am Austragungsort im Berliner „Café Moskau“ trafen sich etwa DGB-Vorsitzdender Reiner Hoffmann und Dorothea Voss, Abteilungsleiterin Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, zum Auftakt. Zugeschaltet war u. a. Prof. Dr. Stepahn Lessenich, Leiter des Instituts für Sozialforschung an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main. Diskutiert wurde über „Demokratie in der Arbeitswelt“.

 
Hier meldet sich der Soziologe aus dem Hintergrund.

Bereits hier klang an, was später mit ver.di-Vertreterinnen weiter vertieft wurde: Die durch Digitalisierung und andere technische Entwicklungen geförderte Fragmentierung der Arbeitswelt, die andere Formen von Mitbestimmung und Mitgestaltung durch die Erwerbstätigen nötig mache. Das kürzlich verabschiedete Betriebsrätemodernisierungsgesetz habe keine „harte Stärkung“ von Interessenvertretungen bewirkt, kritisierte Hoffmann; Lessenich konstatierte „Prozesse der Entbetrieblichung“ von Arbeit und Voss nannte „zunehmende Polarisierung“ als ein Ergebnis einer kürzlichen Umfrage: Ein Viertel der Befragten erkenne „große Vorteile“ in der Digitalisierung, ein Drittel sei davon nach eigener Aussage überhaupt nicht berührt und zehn Prozent sahen ausschließlich negative Auswirkungen.

 

Die Hürde des EU-Wettbewerbsrechts

 
Veronika Mirschel war digital zugeschaltet.

„Kollektiv im Wettbewerb“ hieß eine Debatte mit Veronika Mirschel, Leiterin des Referats Selbstständige bei ver.di, und Johannes Studinger von UNI Europa, der bei der globalen Gewerkschaft die Bereiche Medien, Unterhaltung, Kunst und Sport (UNI MEI) leitet. Es ging um notwendige Veränderungen im EU-Wettbewerbsrecht, das bislang so ausgelegt ist, dass kollektive Honorarvereinbarungen oder Vergütungsregeln für Solo-Selbständige ebenso verboten sind wie Preisabsprachen zwischen Großkonzernen.

Veronika Mirschel ging von der gewerkschaftliche Position aus: Alle Solo-Selbstständigen, Gewerbetreibende ohne Angestellte und Freiberufler*innen eine es, dass sie ihre eigene Arbeitskraft verkaufen. Solche Arbeit könne aber EU-wettbewerbsrechlich nicht Waren gleichgesetzt werden; Arbeit habe deshalb keinen „Preis“, sondern die Akteure erhielten dafür Entgelt. „Unternehmen“ von Selbstständigen dürften von der EU also nicht wie sonstige Unternehmen gewertet werden.

 
Aus der Präsentation von Veronika Mirschel

Auch im Zuge der Digitalisierung und der Ausweitung einer Plattformwirtschaft habe sich eine Machtasymmetrie auf dem Arbeitsmarkt für Selbstständige verschärft, vielfach bestimmten die Auftraggeber einseitig die Entgelthöhen. Für Einzelne, ja selbst in kollektivem Rahmen, fehlten Handlungsmöglichkeiten, das zu verändern. Zwar seien auch von ver.di Instrumente vorhanden oder entwickelt worden, zumindest Transparenz und eine gewisse Vergleichbarkeit von Bezahlung herzustellen, doch fehlten Möglichkeiten zu kollektiven Regelungen. „Verbindliche Honorarempfehlungen müssen ermöglicht werden“, so Mirschel.

Problemlage erkannt?

Johannes Studinger berichtete von einem bereits jahrelangen Dialog mit der EU, um solche kollektiven, gar tarifliche Regelungen für Selbstständige zu ermöglichen. Nationale Versuche, zu solchen Regelungen zu kommen, habe es vorrangig auf dem Unterhaltungssektor zum Beispiel in Irland und Spanien gegeben. In den Niederlanden wurde der Streit darum bis vor den Europäischen Gerichtshof getragen. Aufgrund der EU-Wettbewerbsbestimmungen letztlich immer mit negativem Ergebnis. Doch, so Studinger, habe zuletzt ein „Umdenken“ stattgefunden. Zu Jahresbeginn 2020 hätten Vertreter*innen der EU-Kommission erstmals an einem thematischen Seminar der Gewerkschaftsverbände teilgenommen. Inzwischen sei sich auch EU-Wettbewerbskommissarin Vestager „der Problemlage bewusst“. Seit Januar dieses Jahres liege ein Kommissionspapier mit vier Vorschlägen vor, wie weit der Begriff der „Solo-Selbstständigen“ zu fassen sei, für die kollektive Verhandlungen ermöglichst werden sollten.

 
Aus der Präsentation von Johannes Studinger

Die Gewerkschaften plädierten dabei eindeutig für die umfassendste Auslegung. Außerdem habe UNI Grundsätze vorgelegt, die in der Feststellung kulminerten, dass „Tarifverhandlungen nicht Gegenstand der Wettbewerbspolitik“ seien dürften und sich für die Tarifhoheit der europäischen Gewerkschaften stark machen.

Nach Abschluss der seit Januar andauernden Konsultationen auf EU-Ebene sei für den 8. Dezember 2021 ein Vorschlag der Generaldirektion Wettbewerb angekündigt, der allen EU-Kommissar*innen zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Im Frühjahr 2022, so Studinger, könne eine endgültige Entscheidung vorliegen – sicherlich ein Kompromiss, der den Gewerkschaften doch erwartbar neue Handlungsspielräume eröffnen und Solo-Selbstständige aus dem EU-Kartellrecht weitgehend ausnehmen werde.

In der Debatte wurde die Frage aufgeworfen, wer denn dann für die Solo-Selbstständigen verhandeln könne – Einzelne, Berufsverbände, Gewerkschaften? Veronika Mirschel verwies darauf, „die EU-Kommission will und soll das auch nicht definieren“, damit nationale Besonderheiten bei den „kollektiven Verhandlungen“ beachtet werden könnten. ver.di sehe für sich die Aufgabe, sowohl Tarifverhandlungen voranzutreiben als auch Vergütungsregeln aufzustellen.

Dass Arbeit gestaltbar bleibt

Im Abschlusspanel mit vier Vor-Ort-Diskutantinnen unter dem umfassenden Motto „Wie wollen wir Arbeit und Leben für das nächste Jahrzehnt gestalten?“ wurden Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demokratisierung als wesentliche Handlungsfelder ausgemacht. Auch selbstständige Arbeitsformen spielten dabei eine Rolle.

 
Lisa Basten in der Debatte

Dass „Arbeit gestaltbar bleibt“, stellte Lisa Basten, Bereichsleiterin Kunst und Kultur bei ver.di, als übergreifende Aufgabe. Denn auch künftig betreffe nicht jegliche Entwicklung in der Arbeitswelt und an konkreten Arbeitsplätzen eine Mensch-Maschine-Interaktion oder sei mit Digitalisierung verbunden.

Die seit einiger Zeit vermeldeten Arbeitsmarktverschiebungen zwischen mehr Angestellten und weniger Selbstständigen betrachtete sie weder als gute noch als schlechte Nachricht. Das eigentliche Problem sei kein quantitatives, vielmehr dürften „alle Formen von Arbeit nicht in eine Prekarisierung führen“. Eine gute Nachricht wäre es also, wenn soziale Absicherung, Interessenvertretung und die Aushandlung von kollektiven Verträgen für alle Erwerbstätigen gleichermaßen gesichert würden.

Sie wundere sich, dass der Arbeitnehmer*innenbegriff nicht mehr so im Fokus von Debatten und Forschung stünde, erklärte Dr. Elisabeth Botsch von der Hans-Böckler-Stiftung. Die angestrebte Inklusion der Arbeitnehmerschaft müsse auf der Ebene von Belegschaften eine Spaltung bekämpfen, gesellschaftlich im zweifachen Sinne, aber auch „andere, wie Solo-Selbstständige, mit in die sozialen Sicherungssysteme holen“, erklärte Claudia Bogedan.

 
Abschlusspanel mit Elisabeth Bosch, Lisa Basten, Nicola Brandt, Claudia Bogedan und Moderatorin Julia Kropf (v. l. n. r.)

Anusch Arash-Asish, Stipendiat der Böckler-Stiftung, berichtete aus dem Plenum von eigenen Erfahrungen als Plattformarbeiter. Wenn der Gig Economy durch Regulierung kein Riegel vorgeschoben werde, wachse „eine massive Individualisierung, Prekarisierung und zunehmende Intransparenz“ in diesem Black-Box-Wirtschaftszweig.

Eher abseits des Marktes, egal ob an der Uni, in der Erziehung, im Gesundheitswesen oder in der Kulturbranche, so Lisa Basten, etablierten sich prekäre Arbeitsmodelle, weil ausgenutzt werde, „dass die Leute ihre Arbeit gerne machen“ und eine gewisse Autonomie schätzen. Die Verknüpfung solcher Tätigkeiten mit prekären Arbeits- und Einkommensbedingungen sei aber „hausgemacht“. ver.di, die größte Interessenvertretung Selbstständiger in Europa, mache es sich zur Aufgabe, dagegen anzugehen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Die Autorin: Helma Nehrlich arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


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