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Nürnberg: Nazirelikt künftig Kulturtempel?

Der Torso der Kongresshalle soll als Ausweichspielstätte für das Opernhaus des Staatstheaters dienen.
14.03.2022


Der Torso der Nürnberger Kongresshalle ist ein weithin sichtbares Zeichen für das Scheitern der Nazidiktatur: Das Bauwerk am Dutzendteich nahe des Reichsparteitagsgeländes wurde nie fertiggestellt. Doch im Februar dieses Jahres hat der Nürnberger Stadtrat grundsätzlich beschlossen: Genau hier soll die Ausweichspielstätte entstehen für das über 100 Jahre alte Opernhaus des Staatstheaters, wenn es für viel Geld ab 2025 einer Totalrenovierung unterzogen wird.

14. März 2022 von Heinz Wraneschitz

 

Drinnen oder draußen? Nur das ist jetzt noch die Frage. Aber was heißt schon „nur“? Für die einen ist der geeignete Platz für das unbedingt notwendige Opern-Interim innerhalb des weiten Rund der Kongresshallenwände. Andere, gerade dem Denkmalschutz Nahestehende, sähen den Ersatzbau lieber irgendwo außerhalb realisiert. Eine Bedingung steht fest: Nah am Torso muss die neue Spielhalle schon stehen. Denn eine Art Versorgungstunnel muss beide Orte verbinden, um Bühnenkräfte wie Material hin- und her transportieren zu können.

Deshalb scheint ein Spielort nahezu ausgeschlossen, auch wenn er noch so reizvoll wäre: eine Halle mitten auf dem großen Dutzendteich. Aber die Entfernung wäre zu groß, hört man von Prof. Hans-Joachim Wagner, dem Leiter der städtischen Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, der zuvor für die Stadt die erfolglose Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt 2025 koordinierte. 

 
Der nur als Torso fertiggestellte Kongresshallenbau der Nazis in Nürnberg, davor der Dutzendteich, der im Sommer mit Wasser gefüllt wird

Profane Nutzung denkbar

Der Kongresshallen-Torso gilt als ein Ort, an dem sich Hitler und Co. gerne hätten präsentierten wollen. Hier wurde, anders als in Konzentrationslagern wie Dachau oder Flossenbürg, aber niemand umgebracht. Deshalb haben sowohl der Zentralrat der Juden in Deutschland als auch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten nichts dagegen, dass die Kongresshalle einer profanen Nutzung zugeführt wird.

„Die Macht bricht man durch Freiheit und die zeigt sich durch Kunst“, erklärte dieser Tage Gedenkstätten-Stiftungsdirektor Karl Freller im Angesicht des Nazibauwerks. Er wünscht sich sogar, „dass der künftige Ersatzbau auf Dauer genutzt wird. Es ist eine große Chance, Kunst und Kultur hier einziehen zu lassen, dass diese Räumlichkeiten der ‚freien Szene‘ der Noris zur Verfügung gestellt werden“, denkt der Schwabacher CSU-Landtagsabgeordnete schon an die Zeit nach der Nutzung durch das Musiktheater.

Doch wer könnte dort, an diesem düsteren Ort mit Nazivergangenheit, überhaupt Kreativität ausleben? Freller sieht besonders „experimentelle Kunst“ am richtigen Fleck. ver.di-Mitglied Klaus Haas, studierter mittelfränkischer Experimentalkünstler, dagegen findet „es emotional dort nicht so toll. Es wird immer ein Nazianziehungspunkt bleiben.“ Immer wieder tauchen auf dem Areal sogar Extrem-Rechte auf.

Professor Holger Felten, der Präsident der Akademie der bildenden Künste Nürnberg, sieht zwar im Torso ebenfalls „belastetes, böses Gedankengut. Das strahlt ab. Aber wer günstig einen Raum bekommt, kann pragmatisch sein. Das muss jede*r für sich selbst entscheiden.“

 
Ein Blick in den Innenhof des Kongresshallenbaus, möglicher Standort für die Interimsspielstätte

Offener Zeitplan

Doch bevor externe Künstler*innen dort einziehen können, steht noch nicht einmal die Zeit fest, in der das über 100-jährige Opernhaus am Richard-Wagner-Platz umgebaut werden wird. Zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro schwanken die genannten Renovierungskosten. „Die Bauzeit für das Opernhaus wird sicher über zehn Jahre betragen“, wagte sich Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Prof. Julia Lehner an eine Prognose.

Die Nazis hatten das außen 40 Meter hohe Monstrum in Hufeisenform eigentlich nur als Treppenhaus vorgesehen. Mittendrin hätte eine laut Plan 70 Meter hohe Halle für 50.000 Zuschauer*innen stehen sollen. Doch bekanntlich wurde 1945 die größenwahnsinnige Naziherrschaft durch die alliierten Truppen 1945 beendet, die Kongresshalle deshalb nie fertiggestellt.

Apropos fertiggestellt: Die baurechtliche Genehmigung, im „alten“ Opernhaus Aufführungen abzuhalten, läuft Mitte 2025 aus. Deshalb, und auch das wird gerne mal vergessen: Das „Opernhaus-Interim“ muss bereits in der Spielzeit 2025/26 bespielbar sein. Unter der Hand ist aus Stadtratskreisen zu hören: „Das kannst du vergessen.“

Doch Markus Söder verkündet: „Nürnberg ohne Oper – das geht nicht!“ Wohl auch deshalb schwärmte Bayerns Ministerpräsident bei der Besichtigung mit Bürgermeisterin Lehner und Stiftungsdirektor Freller von der Kongresshalle als einem „Ort, der durch die Kontroverse nur so sprüht an Möglichkeiten“. Doch bis heute gibt es für den Ausweichbau nicht einmal eine klare Kostenschätzung. Die sollen wohl in jener Fast-Milliardensumme mit enthalten sein, sagt uns das nämliche Stadtratsmitglied, das nicht genannt werden will.

Für die Belegschaft des Staatstheaters und die Opern-Künstlerschaft aber war es bereits ein Erfolg, dass der Stadtrat überhaupt eine Interimsentscheidung getroffen hat. Im November 2021 hatte die Personalvertretung noch in einem „offenen Brief“ eine solche eingefordert; heute traut sich vom Personalrat uns gegenüber niemand mehr, etwas dazu zu sagen.

 
v. l. n. r.: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, Nürnbergs Bürgermeisterin Julia Lehner und Karl Freller, Chef der Gedenkstättenstiftung, besichtigten die leeren Gänge des Monstrums.

Die Dimensionen richtig erfassen

Anders der Nürnberger CSU-Landtagsabgeordnete Markus Söder. Der hofft „auf eine gute und clevere Planung“, um hier „Gedächtniskultur und Zukunft zu verbinden“. Dabei hatte er kürzlich wohl zum ersten Mal vor Ort wirklich „die Dimensionen erfassen können. Das fand ich wichtig.“

Wichtig für die Nürnberger wäre eine andere Aussage gewesen: Wie viel Geld schießt der Freistaat zum Opernumbau konkret zu? Söder sagte nur, „der Freistaat wird großzügig unterstützen“. Das wäre schon deshalb keine bloße Wohltat, weil sich die Nürnberger Städtischen Bühnen seit einigen Jahren „Staatstheater“ nennen dürfen, also 50 Prozent Zuschuss Pflicht sind.

Nebenbei brachte Bayerns Regierungschef den Bund als Zahlungsgeber ins Spiel: Die Kongresshalle sei „ein nationales Denkmal. Die Kosten müssen auf alle Schultern verteilt werden.“ Und auch mit Karl Freller ist sich Söder einig: „Es macht keinen Sinn, das Interim nachher abzureißen, es muss nachhaltig werden.“

„Die Stadt hat das Hinterher noch nicht beschlossen“; es sei sogar „gefährlich, schon jetzt die Nachnutzung festzulegen“, versuchte Kulturbürgermeisterin Lehner diese Idee zu relativieren. Doch wird jetzt erst einmal alles entmietet, was im Rundbau gegenwärtig genutzt ist – beispielsweise als Lagerraum von Vereinen oder Museen. Und wohl in diesem Sommer fällt dann die Entscheidung: drinnen oder draußen? Erst danach werden im Torso Büros, Werkstätten und sonstige notwendige Räume für das Personal des Staatstheaters hergerichtet.

Im Interim sollen ab 2025 Opern gespielt werden. Doch darf ein Wagnerstück auf nazibelastetem Gelände über die Bühne gehen? Darüber gehen in Nürnberg zurzeit die Meinungen ebenfalls schwer auseinander.

Der Autor: Heinz Wraneschitz


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