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Spotifys Visionen für den Hörbuchmarkt

Ein kritischer Beitrag zum Bezahlmodell fordert die finanzielle Beteiligung von Urheber*innen.
01.12.2022


Der Audio-Streaming-Dienst Spotify ist in den US-amerikanischen Hörbuchmarkt eingestiegen. Über die Pläne, dieses Angebot auch auf weitere Märkte in Europa auszuweiten, berichtete Nir Zicherman in seiner Funktion als Vice President und Global Head of Audiobooks im Oktober 2022 auf der Frankfurter Buchmesse. Dieser Beitrag fasst bisher bekannte Informationen zum Bezahlmodell sowie Kritikpunkte daran zusammen und nennt Forderungen zur finanziellen Beteiligung von Urheber*innen.

30. November 2022 von Dr. Johanna Schindler

 

Den US-amerikanischen Nutzer*innen von Spotify steht seit September 2022 ein Katalog mit 300.000 Hörbüchern zur Verfügung, das Angebot umfasst Literatur großer Verlage. Es ist nicht Teil der bestehenden „Freemium“-Abonnementstruktur für Musik und Podcasts, die zwischen einem kostenlosen („free“) Abonnement von Grundfunktionen mit Werbeunterbrechungen und einem bezahlten Premium-Abonnement mit vollem, werbefreien Funktionsspektrum unterscheidet. Stattdessen können Hörbücher einzeln aus dem bestehenden Menü („À la carte“) über In-App-Käufe heruntergeladen, offline in der gewünschten Geschwindigkeit gehört, mit Lesezeichen versehen und später fortgesetzt werden.

Um Nutzer*innen das „bestmögliche Hörerlebnis“ (so Zicherman) anzubieten, sollen ihnen künftig entsprechend ihres Hörverhaltens algorithmisch gesteuert weitere Hörbücher vorgeschlagen und das Angebot stetig ausgebaut werden. Zum Vergleich: Spotify bietet mehr als vier Millionen Podcasts an.

Auf der Frankfurter Buchmesse betonte Nir Zicherman entsprechend seines Publikums, wie wichtig dem Unternehmen die Zusammenarbeit mit Autor*innen, Verlagen, Sprecher*innen und Agent*innen sei, um das bestmögliche Hörbucherlebnis zu schaffen. Hörer*innen, Verlage und Autor*innen: Sie alle sollten von den Plänen profitieren.

Wie steht es also um die Beteiligung von Autor*innen?

Spotify hatte im November 2021 die Übernahme des Hörbuch-Händlers Findaway angekündigt und den Vertrag im Juni 2022 zum Abschluss gebracht. Dessen Bezahlmodell, auf das auch Zicherman in seiner Präsentation verwies, beruht bei À la carte-Angeboten wie im Fall von Spotifys Hörbuch-Katalog in den USA auf einer Abgabenhöhe an Rechteinhaber*innen von rund 40 Prozent des Nettoerlöses ausgehend vom Listenpreis, der von Verlagen und Autor*innen selbst festgelegt wird. (Anmerkung: Der entsprechende Eintrag bei FindawayVoices wurde zuletzt vor drei Jahren aktualisiert. Ein aktuellerer Beitrag bezieht sich auf einen Screenshot, der nicht überprüft werden konnte. Demnach entfallen 20 Prozent der Gesamteinnahmen an Findaway und 80 Prozent an Rechteinhaber*innen, anteilig ergibt das dann rund 40 Prozent für À la carte-Angebote.) 

Das Verhältnis dieser Zahl zu anderen Hörbuchplattformen gestaltet sich so: Bei Audible, Amazon-Tochter und aktueller Marktführer für Hörbücher, erhalten Autor*innen eine Beteiligung zwischen 25 Prozent und 40 Prozent des Nettoerlöses, je nachdem, ob sie ihre Werke exklusiv auf Audible anbieten (bis 40 Prozent) oder auch auf weiteren Plattformen (25 Prozent, Quelle). Diese Beteiligungen können bei Audible auf dreierlei Arten generiert werden: aus den Direktverkäufen der Hörbücher, anteilig aus den Abonnement-Downloads und aus Käufen über Hörbuchempfehlungen, wenn Käufer*innen bereits das E-Book erworben haben. Zurückgegebene Hörbücher werden allerdings vollständig von den Tantiemen der Rechteinhaber*innen abgezogen – und es handelt sich nicht um ein Leihmodell, sondern um den Kauf von Büchern. (Anmerkung: Die Hörbuch-Marketingagentur Liberaudio arbeitet eng mit Audible zusammen und kann daher nicht als unabhängige Quelle betrachtet werden, Informationen hierzu konnten jedoch nicht direkt bei Audible gefunden werden.)

 
Nir Zicherman spricht auf der Frankfurter Buchmesse

Die tatsächlich ausgezahlten Beträge lagen laut Recherchen aus der freien Autor*innenszene um die Kampagne Audiblegate, die sich für eine faire Beteiligung von Autor*innen einsetzt, 2020 und 2021 eher bei 13 bis 21 Prozent (Vertragskonditionen der Hörbuch-Streamingdienste Nextory und Storytel sind online nicht einsehbar, Sekundärquellen wurden nicht gefunden). Die Initiative Autoren für einen fairen Buchmarkt um Nina George kritisierte an Audible, dass der Dienst Hörer*innen über Vertragspartner*innen wie der Lufthansa unter dem Banner der Werbung urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht als Lizenz mit entsprechenden Nutzungsgebühren und -beteiligungen, sondern als Paket verkauft und die Urheber*innen mit einem niedrigen Pauschalbetrag und dem Argument großer Reichweite abzuspeisen versucht. Im deutschen Musikstreaming-Markt liegt die Beteiligung von Urheber*innen (Komponist*innen, Textdichter*innen und Verlage) laut GEMA nur zwischen 15 Prozent und 22 Prozent, während Streaming-Dienste etwa 30 Prozent einbehalten und nach dem Leistungsschutzrecht 55 Prozent an Musiker*innen und Labels ausgezahlt werden. Online findet sich das aus den Studienergebnissen resultierende 11-Punkte-Papier

Zwischenfazit: Derzeit ist vielfach unklar, wie genau sich die Erlöse, an denen Autor*innen beteiligt werden, zusammensetzen, und wie hoch die Beteiligung für Urheber*innen schließlich ausfällt. Denn die Erlöse werden zwischen Verlagen, die häufig Rechteinhaber*innen sind – es sei denn, Autor*innen wählen das Modell Self-Publishing –, Vertriebspartner*innen und den Streaming-Diensten selbst aufgeteilt.

Von Spotify selbst und aus Fachkreisen heißt es bereits, weitere Bezahlmodelle würden geprüft. Im deutschen Spotify-Katalog ist das noch sehr kleine Hörbuchangebot Teil des Freemium-Modells. Das dürfte bei einem Markteinstieg zunächst durch ein À la carte-Modell ersetzt werden. Schon allein, um Verlage und Autor*innen zur Bereitstellung ihrer Inhalte zu überzeugen. Denn das durch Bezahl-Abonnements querfinanzierte Ausschüttungsmodell bedeutet, dass die Gesamteinnahmen aus allen Streams anteilig auf die Urheber*innen verteilt werden: 1,0 Prozent Anteil an allen Streams bedeutet 1,0 Prozent Beteiligung an den Gesamteinnahmen, von denen Spotify etwa ein Drittel einbehält. Daraus ergeben sich bei Podcasts und Musik für Urheber*innen oder Verlage bzw. Labels, die die Beträge dann weiterverteilen, durchschnittliche Einnahmen von 0,003 Euro je Stream.

Größter Kritikpunkt an diesem Modell ist, dass nur bereits bekannte, durch Aufnahme in Playlists oder algorithmisch gesteuerte Vorschläge sichtbare Künstler*innen ausreichend gestreamt werden, um über die Plattform Geld zu verdienen. Hasan Gökkaya hat differenziert über das aktuelle Ausschüttungsmodell und seine Auswirkungen auf Urheber*innen berichtet. 

Music Business Worldwide hat analysiert, dass 80 Prozent der auf Spotify registrierten Künstler*innen weniger als 50 monatliche Hörer*innen haben. Das Ergebnis ist ein Verlustgeschäft. Auch für Spotify selbst: Spotifys Umsatzzahlen steigen zwar stetig auf zuletzt 9,67 Milliarden Euro im Jahr 2021, das Unternehmen verzeichnete trotzdem ein Minus von 34 Millionen Euro; 2020 waren es noch 581 Millionen Euro. Als Reaktion auf das Modell haben sich manche Künstler*innen vollständig von der Plattform zurückgezogen, andere haben Bot-Accounts in den Dienst genommen, um ihre eigenen Songs rund um die Uhr zu streamen, was energieaufwendig ist und Spotify damit beschäftigt, diese gegen ihre Regularien verstoßenden automatisierten Streaming-Aktivitäten zu entlarven und zu deaktivieren (weitere Quelle). 

Die Crux an der Sache ist Spotifys Mission

Das Unternehmen schreibt sich auf die Fahnen, „einer Million kreativer Künstler*innen die Möglichkeit zu geben, von ihrer Kunst zu leben“ (Quelle). Messgrößen, die Transparenz darüber schaffen, ob und wie Künstler*innen „von ihrer Kunst leben können“, gibt es laut Zicherman nicht. Damit läuft die Unternehmensmission bisher ins Leere. Und differenziert lässt sich Spotify nicht in die Karten gucken: Von etwa acht Millionen Künstler*innen, die 2021 ihre Inhalte über Spotify anboten, erhielten 16.500 Musikschaffende über 50.000 US-Dollar (ca. 48.700 Euro) Beteiligung (Quelle). Dieser Betrag entspricht in etwa dem Median (Zentralwert) des Bruttogehalts aller Arbeitnehmer*innen in den USA, der ohne statistische Ausreißer wie Millionengehälter berechnet wird, so fernab diese Zahl auch von vielen Lebensrealitäten weltweit liegt. In Deutschland lag der Betrag 2021 bei rund 43.200 Euro (Quelle). 

Zum Vergleich erhielten 2021:

  • 203.300 Künstler*innen mehr als 1.000 US-Dollar
  • 81.500 Künstler*innen mehr als 5.000 US-Dollar
  • 52.600 Künstler*innen mehr als 10.000 US-Dollar Beteiligung

Am anderen Ende der Kette stehen:

  • 9.500 Künstler*innen mit mehr als 100.000 US-Dollar
  • 1.040 Künstler*innen mit mehr als 1.000.000 US-Dollar
  • 450 Künstler*innen mit mehr als 2.000.000 US-Dollar
  • 130 Künstler*innen mit mehr als 5.000.000 US-Dollar Beteiligung

Die Tendenz bei all diesen Zahlen im Vorjahresvergleich ist übrigens steigend: Mehr Künstler*innen verdienen mehr Geld, soll wohl die Aussage sein. Zusammengerechnet ergibt sich jedoch eine Zahl von mindestens 337.400 Künstler*innen, die weit unterhalb eines Einkommens liegen, mit dem der Lebensunterhalt bestritten werden könnte – und die tatsächliche Zahl dürfte deutlich höher liegen, denn Spotify veröffentlicht Zahlen nur in den oben genannten Clustern, die weder vollständig über alle auf der Plattform registrierten Künstler*innen Auskunft geben, in Medium (Musik, Podcast, Hörbuch) oder Regionen unterteilt sind, noch Auskunft über weitere Ausschüttungshöhen liefern.

 
Zuhörende beim Vortrag von Nir Zicherman, Vice President und Global Head of Audiobooks

Um Künstler*innen (besser) zu bezahlen, müssten laut Zicherman Inhalte stärker vermarktet und insgesamt mehr Hörer*innen zur Nutzung der Plattform für sämtliche Audioformate überzeugt werden. Nur über die Masse an Streams kann auch eine höhere Ausschüttung an Urheber*innen erfolgen – egal welches Bezahlmodell greift.

Weltweit nutzen derzeit 456 Millionen Menschen Spotify monatlich aktiv – Tendenz steigend –, davon sind mit 195 ein gutes Drittel zahlende Abonnent*innen (Quelle). Für den Hörbuchmarkt wolle Spotify die bestehende Nutzer*innen-Datenbank ausbauen und sie Autor*innen und Verlagen samt Analyse- und Marketinginstrumenten zur Verfügung stellen, um Urheber*innen dazu zu „befähigen“, diese Daten zur Monetarisierung ihrer Inhalte zu nutzen. Autor*innen und Verlage selbst sollen ihre Hörer*innen darin „weiterbilden“, wie Inhalte gefunden, gehört und bewertet werden können, um das Potenzial von Spotify vollständig auszuschöpfen.

Oder, wie Zicherman sagte, um „großartige Inhalte zu schaffen“ und „ihr Publikum zu finden“. Der Grundtenor dabei: Spotify wolle Urheber*innen dazu „ermächtigen“, ihre Hörer*innenschaft zu vergrößern, und zwar, indem sie ihre Inhalte an die gesammelten Daten über das Nutzungsverhalten anpassen. Denn auch das sagte Zicherman klar und deutlich, das Ziel ist letztlich, dass Spotify die einzige Plattform werde, über die Nutzer*innen Audioformate streamen. Das mag wenig überraschen, ist jedoch in der Widersprüchlichkeit mit Spotifys unternehmerischer Mission für das Verhalten sowohl von Nutzer*innen, Urheber*innen, Agent*innen als auch von Verlagen relevant.

Forderungen

  • Streaming-Dienste wie Spotify und Audible müssen Urheber*innen angemessen beteiligen.
    Es geht nicht um Entfaltungsraum für und „Befähigung“ von Kreativen, sondern um deren faire Vergütung. Der Anspruch des Unternehmens ist im Falle von Spotify, dass Künstler*innen durch die angebotenen Inhalte ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das muss auch möglich sein. Eine Lösung dafür ist eine entsprechende Beteiligung bei In-App-Käufen, eine andere die direkte Umlage von Abonnements über ein Nutzer*innen-zentriertes Modell, wie Produzent*innen und Musiker*innen es für den Musikbereich bereits fordern (Quelle). Der von Hörer*innen bezahlte Abonnement-Betrag würde dann, neben einer Beteiligung des Dienstes, zwischen den Urheber*innen aufgeteilt, die von diesen Nutzer*innen gestreamt wurden. Auch ein Mindestbetrag für eine Beteiligung von Urheber*innen wäre denkbar.

  • Streaming-Dienste müssen ihre Vergütungsregelungen transparent machen.
    Damit Urheber*innen wirtschaftliche Entscheidungen treffen können, müssen sowohl Vertragskonditionen als auch Unternehmensberichte veröffentlicht werden, die differenziert Einblick in tatsächliche Auszahlungen geben.

  • Streaming muss mit Nachhaltigkeit verknüpft werden.
    Direkte und transparente Vergütungsregelungen sorgen für nachhaltigeres Wirtschaften. Mehr registrierte Künstler*innen erfordern aber auch höhere Serverkapazitäten, mehr Nutzer*innen bedeuten mehr Energieaufwand. Streaming-Dienste sollten erneuerbare Energien nutzen, ohne die daraus entstehenden Mehrkosten auf Nutzer*innen oder Urheber*innen umzuwälzen.

  • Rechteinhaber*innen müssen gemeinsam für faire Vergütungsregelungen eintreten. Rechtsansprüche für Autor*innen und Übersetzer*innen sind einerseits durch das Urheberrecht geregelt, andererseits können Vertragsparteien wie Agenturen und Verlage die Konditionen für deren Höhe aushandeln. Dies lässt sich auch auf Sprecher*innen und Künstler*innen übertragen, die mit ihren Stimmen oder Sounddesigns das Hörerlebnis gestalten und deren Beitrag zur Vermittlung des Werkes unter das Leistungsschutzrecht fällt. Auch sie sollten angemessen an der Verwertung von Hörbüchern beteiligt werden. Die EU-Kommission hat zudem im September 2022 Leitlinien zu Tarifverträgen verabschiedet, die Kollektivverhandlungen erlauben, sodass Solo-Selbstständige gemeinsam für eine direkte und höhere Beteiligung kämpfen können (Quelle).

  • Hörer*innen sollten Hörbuch-Händler und Streaming-Dienste verantwortungsvoll und bewusst verwenden. Künstler*innen sollten an der Nutzung ihrer Werke so direkt wie möglich finanziell beteiligt werden, damit so viel Vergütung wie möglich bei ihnen ankommt. Sofern das eigene Budget es zulässt, sollten kostenlose oder Flatrate-Angebote vermieden und Hörbücher auch nicht zurückgegeben werden, solange die Bezahlmodelle dies von der Beteiligung der Urheber*innen abziehen.

 

Die Autorin: Dr. Johanna Schindler, ehemalige Redaktionsleitung der wissenschaftlichen Zeitschrift für Kulturmanagement und Kulturpolitik, nun freie Autorin, Übersetzerin und Lektorin

Der Beitrag wurde von der Autorin am 24.01.23 geringfügig angepasst. 

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