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Die Kraft der Musik verbindet Menschen

Ein Bericht über den Musiker Demetrios Karamintzas und seinen Verein „MitMachMusik“
13.03.2020


„Ich hole die Kinder in der Unterkunft ab und wir kommen zusammen ins Paul-Schneider-Haus“, hatte Demetrios Karamintzas angekündigt. Und tatsächlich trifft die muntere Gruppe um „Taki“, wie alle den Musiker und Mitgründer der „MitMachMusik“ nennen, pünktlich um halb sechs am Mehrgenerationenhaus in Berlin-Spandau ein. Hier wird mittwochs regelmäßig geprobt.

13. März 2020 von Anja Bossen und Helma Nehrlich 

 

Eigentlich, so Taki, sollte es die letzte Tutti-Probe vor dem „MitMachMusik-Orchestertag“ am 14. März sein. Doch das Konzert, das verschiedene Gruppen aus Berlin und Potsdam zusammenbringt, ist wegen Corona-Infektionsgefahr abgesagt. „Aber unser nächster Orchestertag ist ja schon für den 17. Mai geplant. Also bereiten wir uns darauf vor“, sagt der Lehrer. Geigen und Celli sitzen heute im Rund. Anna aus Armenien ist die Konzertmeisterin. Die Hände sind gewaschen, die Instrumente gestimmt, alle haben ihre Noten vor sich. Mit „Russian Music Box“ soll es losgehen. Zunächst aber mit einer D-Dur-Tonleiter.

Eine „normale“ Musikschule sei „MitMachMusik“ nicht. Doch sie ist professionell geführt. Der Unterricht erfolgt auf vier Levels. Zuerst gibt es da eine Gemeinschaftsbeschäftigung im Musikkreis, die auch therapeutische Ziele hat. „Die Kinder sollen wieder Ich sagen können, ihren Körper spüren, ihn als Instrument sehen, das sie immer bei sich haben.“ Nach Fluchterfahrung und extremen Erlebnissen erhalten die Kinder Gelegenheit, an einem neutralen, ruhigen Ort Musik zu erfahren.

 
Mitgründer und mit allen Sinnen aktiv bei MitMachMusik: Demetrios Karamintzas leitet die Probe in Spandau.

„Wir machen viel mit Bewegung, Kinästetik, um die anfängliche Sprachlosigkeit und Sprachbarrieren zu überspringen“, sagt Karamintzas, der ähnliche Projekte schon in Palästina, Afghanistan, Libyen und Syrien begleitet hat. Auf Level zwei, im sogenannten Flötenkreis, lernen zunächst alle Blockflöte spielen, dürfen sich dann aber auch für eine anderes Instrument entscheiden. „Wir haben alles außer Fagott. Aber wenn jemand das unbedingt lernen will, würden wir auch das beschaffen“, ist Taki, selbst Oboist, sicher. Am Ende des zweiten Levels können die Kinder Noten lesen, Flöte und auf der leeren Saite von Streichinstrumenten spielen. So sind sie bestens präpariert für den Einzel- und Gruppenunterricht, der in den Levels drei und vier auf sie wartet. Für den kostspieligen Einzelunterricht gibt es Patenschaften.

Und die Resonanz? „Inzwischen haben wir Wartelisten“, berichtet der Projekt-Mitgründer. Mit Engagement und Geduld, ist er sicher, werde es bald auch in Berlin-Hellersdorf und in Spandau gelingen, Kinder aus dem Wohngebiet einzubeziehen, wie das in Berlin-Friedenau, Zehlendorf oder Potsdam schon Usus ist.

 

Sich wieder selbst spüren

Dass Musik ein Medium ist, das Menschen über unterschiedliche soziale, politische, kulturelle Erfahrungen und sprachliche Barrieren hinweg miteinander verbinden kann, liegt der Vision des Vereins „MitMachMusik“ zugrunde. Das Projekt wurde 2016 im Zuge der anhaltenden Immigration geflüchteter Menschen nach Deutschland gegründet und verfolgt das Ziel, einen Beitrag zu einer friedlich zusammenlebenden Gesellschaft zu leisten. Der Verein möchte geflüchteten Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur Verarbeitung ihrer oft schrecklichen Kriegs- und Fluchterlebnisse und zur Integration in Deutschland bieten. Es geht darum, dass diese jungen Menschen lernen, sich im Musikmachen wieder selbst zu spüren und als selbstwirksam zu erfahren und neuen Lebensmut in ihrer neuen Umgebung zu fassen.

In dem Projekt erteilen fünfundzwanzig professionelle Musiker*innen, die teilweise selbst einen Migrationshintergrund haben oder geflüchtet sind, Kindern und Jugendlichen, die in Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind, zweimal pro Woche Instrumentalunterricht in kleinen Gruppen. Viele Ehrenamtliche helfen zusätzlich mit, dass das Musizieren wirklich regelmäßig stattfindet und eine neue Konstante im Leben der Kinder wird. Die Teilnehmer*innen können Geige, Cello, Gitarre, Blockflöte oder verschiedene Perkussionsinstrumente erlernen und ihr Instrumentalspiel später auch im spendenfinanzierten Einzelunterricht fortsetzen. Es geht aber in den gemeinsamen Spielkreisen auch um Rhythmuslernen, Körperbewusstsein, gegenseitiges Zuhören und Respekt. Außerdem leiten die Musiker*innen gemeinsame Sing-  und Musizierzusammenkünfte, die „MitMach-Konzerte“ an, bei denen auch einheimische Kinder und Jugendliche mitmachen können und die auch allen offenstehen, die bereits aus den Flüchtlingsunterkünften ausgezogen sind und in einer eigenen Wohnung leben.

 

Musik als Kommunikationsmittel

In vier Berliner Bezirken und in Postdam gibt es derzeit fünfzehn neutrale Standorte, die von je einem Musiker*innen-Team betreut werden. Der Unterricht findet z. B. in Bürgerhäusern, Nachbarschaftsheimen oder Begegnungszentren statt. An allen Standorten in Berlin und Potsdam können die Kinder und Jugendlichen gemeinsam auf verschiedenen Levels und in verschiedenen Orchesterformationen und Combos musizieren. Hierbei entstehen auch kleine Musikprojekte, die in Aufführungen vor den Eltern, Verwandten, Freund*innen und Anwohner*innen münden und bei denen sich die Nachbarschaft gegenseitig kennenlernen kann. „Wir glauben daran, dass Musik menschliche Zusammengehörigkeit erfahrbar macht“, so Marie Kogge, eine weitere Mitinitiatorin des Projektes, die in Potsdam aktiv ist. Musik wird von den Musiker*innen als Kommunikationsmittel gesehen, das die Begegnung verschiedener Kulturen auch ohne Sprachkenntnisse ermöglicht. 2018 war das Projekt für den Integrationspreis des Landes Brandenburg nominiert und wurde mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.

Das Geld, das für den Kauf von Instrumenten bzw. für den Einzelunterricht benötigt wird, wird durch private Einzelspenden, Vereine und Stiftungen aufgebracht.

Einblicke in das Projekt und das gemeinsame Musizieren bietet auch ein Video auf YouTube, in dem die Kinder und Jugendlichen nicht nur präsentieren, was sie musikalisch gelernt haben, sondern in berührender Weise auch selbst zu Wort kommen.

Die Autorinnen: Dr. Anja Bossen ist Kunst- und Kulturbeauftragte bei ver.di, Helma Nehrlich arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


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