Computer- und Videospiele sind beliebt und haben ein meist positives Image: hip, unterhaltend, allerdings mit Suchtfaktor. Die Beschäftigten in der Games- und Tech-Branche, die diese Spiele herstellen, beklagen dagegen seit vielen Jahren schlechte Arbeitsbedingungen und ungleiche Bezahlung, fehlende Rechte sowie mangelnde soziale Standards am Arbeitsplatz. Zusammenschluss und Gewerkschaften? Bislang meist Fehlanzeige. Nun kamen wichtige Impulse dazu aus Berlin.
22. Juni 2022 von Helma Nehrlich
Die Spieleentwicklungs- und Tech-Branche ist ein dynamischer Wirtschaftssektor auch in Deutschland: 2020 waren dort etwa 570.000 Menschen beschäftigt, es gibt mittlerweile mehr als 47.000 Unternehmen und in der Games-Branche wurden 50 Millionen Euro Umsatz verzeichnet. Auch die Corona-Pandemie hat das Wachstum nicht gebremst. Die Branche ist zudem breit gefächert und reicht von der Entwicklung über das Gestalten und Programmieren von Video- und Onlinespielen und Augmented-Reality-Anwendungen bis zur Konstruktion entsprechender Konsolen, 3-D-Brillen und anderen Equipments. Auch die dahinterstehende berufliche Qualifikation von „Gamern“ ist vielfältig. Vertreten sind IT-Spezialisten und Softwareentwickler*innen, Elektronikproduzenten und Marketing-Spezialistinnen, aber auch Videofilmer, Grafikerinnen, Mediengestalter, Texterinnen und Übersetzer. Die Games-Produktion vereint also mehr technisch fundierte Tätigkeiten im IT-Bereich, die eher besser vergütet werden als die enthaltene künstlerisch-kreative Arbeit.
Zudem: Viele Firmen in der boomenden globalen Games-Industrie haben ursprünglich als Start-ups begonnen, sind aber längst fest auf einem eigenen Markt etabliert. Unternehmen unterschiedlicher Größe – von Tech-Konzernen wie Microsoft, Nintendo oder großen Entwicklern wie Ubisoft bis zu kleinen Studios – verfügen mittlerweile über entsprechendes Kapital und Know-how, über Firmensitze und einen relativ festen Mitarbeiterstamm, fahren beträchtliche Gewinne ein. Sie bilden mehr und mehr einen profitablen Industriezweig.
Allerdings: Arbeitsbedingungen und soziale Beziehungen haben mit diesen Entwicklungen längst nicht immer Schritt gehalten: Was als mehr oder weniger freiwillige projektbasierte Kooperation technikaffiner junger Leute mit hohem Engagement und Hang zur Selbstausbeutung begann, müsste längst in Beschäftigungsverhältnisse mit geregeltem Einkommen und Arbeitszeit, mit Urlaubregelungen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Möglichkeiten zur Weiterbildung – am besten mit tariflichen Vereinbarungen, auch klaren Urheberrechtsreglungen überführt worden sein. Das ist aber kaum der Fall. Entgelte sind eher intransparent und Verhandlungssache, Arbeitsbedingungen oft nicht klar geregelt, es gibt nur geringen gewerkschaftlichen Einfluss und kaum Interessenvertretung. Eine aktuelle Befragung von Videogame-Workers aus 29 Ländern belegte, dass zu geringe Bezahlung (66 Prozent), ausufernde Arbeitszeiten (43 Prozent), Diskriminierung und/oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (35 Prozent) und weitere Probleme auch als treibende Kräfte für mehr gewerkschaftliche Organisation gesehen werden. In einem neuen Report von UNI Global Union, dem weltweiten Gewerkschaftsverband für die Dienstleistungsbranchen, ist auch nachzulesen, dass aktuell 79 Prozent der Befragten stärkeres gewerkschaftliches Engagement in ihrem Arbeitsumfeld befürworten. UNI Global hat sich deshalb gerade entschlossen, „Gaming“ als neuen Bereich im ICTS-Sektor zu formieren und ihn stärker in den Blick zu nehmen.
Die Defizite ähneln sich weltweit. In manchen Weltregionen sind Arbeitsbedingungen besonders stark von Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Ausbeutung geprägt. Ähnlich wie Click- oder Platform-Worker sind die Beschäftigten in der Spieleentwicklung deshalb schon länger ins Blickfeld der internationalen Gewerkschaftsbewegung gerückt. Die Gründung einer „Alphabet Workers Union“ ist ein Meilenstein im Ringen um bessere Arbeitsbedingungen bei Google & Co. Auch mit SAP gibt es dank gewerkschaftlicher Anstrengungen in einigen Ländern bereits kollektive Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen.
Auch ver.di hat die Games- und Tech-Branche verstärkt im Blick. Auf Initiative von Christine Muhr aus dem ver.di-IT- und Telekommunikationsbereich, die zugleich stellvertretende Vorsitzende des UNI-ICTS-Sektors ist, wurde der boomende Bereich 2021 als Tätigkeitsschwerpunkt in die europäische UNI-ICTS-Satzung aufgenommen. Diesem Signal ist es wesentlich zu danken, dass UNI Global Union erstmals Games- und Tech-Worker aus verschiedenen Regionen der Welt zu einem Treffen speziell nach Berlin eingeladen hat. ver.di war Mitgastgeberin. Gekommen waren Abgesandte aus den USA, aus asiatischen Ländern wie Südkorea und Indien, aber auch aus Süd- und Osteuropa. „Organizing for the Win“ hieß das Thema der Debatten am 16. und 17. Juni 2022, die eine Game und Tech Workers Assembly als noch recht losen internationalen Zusammenschluss stärken sollte. Das Treffen diente dem Erfahrungsaustausch, um gewerkschaftliche Organisation und die Bildung kollektiver Interessenvertretungen zu fördern. Themen wie Digitalisierung und ökologische IT-Nachhaltigkeit standen ebenfalls auf der Agenda. Als Referent konnte unter anderem Dr. Jack Poulson gewonnen werden, der in der gewerkschaftlichen Tech-Worker-Szene ein absolutes Vorbild ist und von den Teilnehmer*innen mit Standing Ovations bedacht wurde. Das galt auch für Cha Sang-Jun, Gründer der (süd)koreanischen Game Gewerkschaft Smilegate Union.
„Game Worker sind herzlich willkommen, ihre Erfahrungen in der Arbeitswelt mit uns zu teilen und ihrerseits von der Stärke und Gestaltungsmacht unserer Gewerkschaft zu profitieren“, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz zu Beginn der Konferenz. Bisherige Einzelkämpfer und kleine Teams sollten gewerkschaftlichen Zusammenschluss üben, die Solidarität und Erfahrung in einer großen Organisation nutzen, gleichzeitig aber Impulse aus der modernen globalisierten Arbeitswelt einbringen.
Zu einem sehr motivierten, kämpferischen Klima der Debatten und regelrechter Aufbruchstimmung trugen aktuelle Berichte von ersten Organisationserfolgen in den USA bei, etwa in einem Tochterunternehmen des gerade von Microsoft übernommenen kalifornischen Games-Giganten „Activision Blizzard“. Dort besteht nun die Chance, erstmals tarifvertragliche Reglungen auszuhandeln. Deutlich wurde aber auch, dass noch ein langer Atem und viel gewerkschaftliches Engagement nötig sein werden, um zu messbaren und nicht nur punktuellen Erfolgen zu kommen. Als Handlungsfelder nannten die Konferenzteilnehmenden: Wertschätzung von Arbeit, Gleichbehandlung und Kampf gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen.
Um künftig politische Ziele etwa in Richtung Verwertungsrechte oder auch tarifliche Regelungen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Games-Branche überhaupt durchsetzbar zu machen, braucht es auch bei ver.di Voraussetzungen. Zunächst seien „Themen und Arbeitsfelder zu identifizieren, die Beschäftigte umtreiben, um gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln und Projekte umzusetzen“. Dazu, so Johannes Brückner, Tarifsekretär im ver.di-Bereich Kultur und Medien, brauche es noch mehr Informationen über die Bedingungen in der Branche selbst. Es müsse mit Aktiven und Interessierten gesprochen werden – auch, um sie selbst stärker zu vernetzen. Dass die Konferenz dazu ein „guter und gemeinsamer Start war, um ver.di in der stark wachsenden Branche zu positionieren“, dieses Fazit zieht Mitorganisatorin Christine Muhr.
Reza Temiz vertrat ver.di auf dem Panel-Podium beim ersten Games- und Tech-Worker-Treffen der UNI Global Union
Du bist seit zwei Jahren bei ver.di und zugleich Mitglied in der kleinen AG Games des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS). Auf dem Podium hast du deine Erfahrungen als Lokalizer von Videospielen vermittelt. Was machst du da genau?
Im Grunde bin ich Übersetzer im Spielebereich. Ich sorge dafür, dass Spiele, die etwa in Englisch entwickelt wurden, von deutschsprachigen Nutzer*innen problemlos benutzt werden können.
Du bist also „Praktiker“. Wer saß außer dir auf dem Podium und worum ging es?
Die Moderatorin Emma Kinema kam von der US-amerikanischen Gewerkschaft. Neben mir saß eine Aktivistin, die in Berlin einen Safe Space für Frauen und marginalisierte Gruppen in der Games-Branche veranstaltet, eine kanadische Kollegin war dabei, die Mitglied der dortigen ersten Gewerkschaft in einem Spieleentwickler-Unternehmen ist, außerdem ein Vertreter der französischen Gewerkschaft für Spieleentwickler. Das Panel befasste sich mit großen Veränderungen und tieferliegenden Problemen für die Beschäftigten in der Branche und im jeweiligen Bereich, es ging um die Rolle von Gewerkschaften dabei, speziell auch um Organizing und um Ratschläge für die nationalen Gewerkschaften.
Nicht wenig! Was hat dich speziell interessiert?
Mich treiben besonders die aktuellen Herausforderungen um, weil sie mich auch im Alltag am meisten betreffen. Und die Rolle des Organizing, speziell mit digitalen Tools. Ich bin selbst in der Pandemiezeit zur Gewerkschaft gekommen und fast alle meine Aktivitäten liefen seither über solche Tools. Etliche der Kolleg*innen, mit denen ich dabei zu tun hatte, habe ich auf der Konferenz erstmals in persona getroffen.
Und was konntest du den anderen aus deinem Arbeitsbereich Lokalization vermitteln?
Das wichtigste Problemfeld sind die Bezahlung und die Tarife. Sie sind viel zu niedrig, werden niedrig gehalten und aktuell sogar noch weiter gedrückt. Für uns fehlen auch Richtlinien zur Namensnennung. Viele Übersetzende werden von den Produzenten – im Gegensatz zu Film und Fernsehen – im Abspann von Spielen einfach gar nicht genannt. Die meisten sind zudem selbstständig tätig, haben also bisher kein Recht auf kollektive Verhandlungen über Arbeitsbedingungen und Entgelte. Hoffentlich ändert sich das jetzt mit der EU-Gesetzgebung. Bei uns im Spielebereich gibt es im Unterschied zur literarischen Übersetzung auch keinerlei Tantiemen. Das macht die Situation zusätzlich prekär.
Hinzu kommt: Die Agenturen, für die viele von uns arbeiten, haben sich im letzten Jahrzehnt sehr bemüht, uns möglichst isoliert und unsere Identität geheim zu halten. Erst seit zwei Jahren etwa haben wir es geschafft, über einen Discord Server zumindest die deutschen Übersetzenden zu versammeln, aktuell sind es etwa hundert. Aber das ist noch immer ein Kampf gegen Windmühlen, weil die Unternehmen überhaupt nicht wollen, dass wir uns untereinander kennen.
Hast du selbst von der Konferenz profitieren können? Was nimmst du mit?
Für mich besonders interessant waren die Theorie und Strategien zum Organizing, also mehr Wissen darüber, wie man gewerkschaftliche Organisation geplant gemeinsam aufziehen kann. Mein Ziel ist nämlich, aus dem Discord Server, aus der dort lose zusammengesammelten Community, wirklich eine Bewegung zu machen. Da setze ich auch auf die Erfahrungen bei ver.di. Ich meine, Freelancer sind eine Kraft, mit der man rechnen kann. Aber erst, wenn sie sich zusammentun und füreinander einstehen. Bislang war solches Engagement oft sehr einsam. Umso wertvoller ist nun, dass ich auf der Konferenz auch andere deutsche Games-Arbeitende treffen konnte.
Die Autorin: Helma Nehrlich arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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