Alle, die an einer Ausstellung mit Werken bildender Kunst beteiligt sind, bekommen eine Entlohnung: die Spedition, die Versicherung, die Druckerei, die Reinigungskräfte, das Wachpersonal, die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen… Nur die Künstlerin oder der Künstler erhalten kein Honorar für das Zeigen ihrer Werke. Eine schmerzhafte Erfahrung, die zumindest in Stuttgart künftig nicht mehr gemacht werden muss. Denn nun hat die Stadt mit einem Gemeinderatsbeschluss den Weg frei gemacht für Ausstellungshonorare.
2. Februar 2022 von Werner Jany
Die Initiative dazu ging von der Fachgruppe Bildende Kunst in ver.di Baden-Württemberg aus. Wolfram Isele, zusammen mit Joachim Sauter einer der Motoren der Stuttgarter Initiative, beschäftigt das Thema Ausstellungshonorar bereits „seit ewig und drei Tagen“. Er vergleicht das Honorar für Ausstellungen oder Installationen mit der Gage beispielsweise von Musiker*innen bei Auftritten.
Bildende Kunst wird gemacht, um gezeigt und gesehen zu werden. Erst in zweiter Linie auch, um verkauft zu werden. Kunst leidet, wenn es nur um das Verkaufen geht. „Aber die Künstlerinnen und Künstler müssen auch von ihrer Arbeit leben können“, betont Petra Pfirmann vom Vorstandsgremium der Landesfachgruppe Bildende Kunst in ver.di Baden-Württemberg.
Wenn die Arbeit der Künstlerin oder des Künstlers nicht entlohnt wird, sei dies ein Zeichen dafür, dass deren Arbeit auch keine Achtung entgegengebracht wird. Für bildende Künstlerinnen und Künstler bedeutet dies im Alltag, dass 92 bis 96 Prozent nicht von ihrer Arbeit leben können. Nicht umsonst werden sie auf ihren Ausstellungen immer wieder gefragt: „Und was machen Sie beruflich?“
Seit 50 Jahren fordern Künstlerinnen und Künstler eine Honorierung für das Zeigen ihrer Arbeit. Der Deutsche Künstlerbund zahlte 1974 erstmals – leider einmalig – Ausstellungshonorare. 1989 startete die IG Medien eine Unterschriften-Kampagne für Ausstellungshonorare. 1993 hatten diesen Aufruf über 2.000 Künstlerinnen und Künstler unterschrieben. 1998 startete im Anschluss an einen Künstler*innenstreik die Kampagne „Gelbe Linie“. In 28 Städten zogen Künstlerinnen und Künstler der IG Medien-Initiative „Robin art“ bundesweit „gelbe Linien“ vor 34 Ausstellungshäusern, mit denen signalisiert wurde: „Wer diese Linie überschreitet, betritt einen honorarfreien Raum.“
2016 schließlich hat Berlin als erstes Bundesland damit begonnen, bei Ausstellungen in kommunalen Galerien den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern Honorare zu zahlen.
Das Berliner Modell war Vorbild für eine Initiative der Fachgruppe Bildende Kunst in ver.di Baden-Württemberg: Im Vorfeld der Haushaltsberatungen der Stadt Stuttgart gingen Aktivist*innen aus der Fachgruppe auf das Kulturamt und den Gemeinderat zu, um für ihre Forderung nach einem Etat für Ausstellungshonorare zu werben.
Wolfram Isele und Joachim Sauter wandten sich an das Kulturamt und an die Fraktionen im Gemeinderat. „Wir haben alle Fraktionen abgeklappert, natürlich außer der AfD. Die FDP hat nicht reagiert. Bei allen anderen sind wir auf offene Ohren gestoßen“, berichtet Sauter.
In Berlin werden seit 2018 im Haushalt 400.000 Euro eingestellt, ausschließlich für die Honorierung von professionell arbeitenden bildenden Künstler*innen, für die Bereitstellung ihrer künstlerischen Werke bzw. Performances in temporären Ausstellungsprojekten der kommunalen Galerien der Hauptstadt. Die Höhe der Honorare hängt von der Art der Ausstellung ab. Einzelausstellungen werden mit 1.500 Euro honoriert, für Gruppenausstellungen gibt es je nach Anzahl der beteiligten Künster*innen zwischen 500 und 1.000 Euro.
An diesem Honorarmodell orientiert sich der Entwurf der Stuttgarter Initiative. Der mit dem Kulturamt der Stadt abgestimmte und vom Gemeinderat nun genehmigte Vorschlag sieht ab 2023 für Honorarzahlungen eine jährliche Summe von 270.000 Euro vor.
„Wer wofür wie viel bekommt, soll noch im Lauf dieses Jahres konkretisiert werden“, erklärt Joachim Sauter. Honoriert werden sollen Ausstellungen und Perfomances in städtischen Galerien und Einrichtungen, auch in den Stadtteilen und in der Volkshochschule. Zur Umsetzung des Gemeinderatsbeschlusses und der Erarbeitung eines Vergabemodells stellte der Gemeinderat für 2022 eine Summe von 50.000 Euro in den Haushalt ein.
„Der Beschluss des Stuttgarter Gemeinderats ist ein hilfreiches und beispielgebendes Vorhaben zur Verbesserung der Situation der Künstler*innen. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Umsetzung konkret ausgestaltet wird. Wir bringen uns da auf jeden Fall mit ein“, versprechen Joachim Sauter und Wolfram Isele sowie das Vorstandsgremium der Landesfachgruppe Bildende Kunst in ver.di Baden Württemberg mit Gez Zirkelbach und Petra Pfirmann. Sie hoffen darauf, dass der Stuttgarter Beschluss auch ein Signal an andere Kommunen im Land und an die Landesregierung darstellen könnte, jetzt ebenfalls konkrete Entscheidungen für Ausstellungshonorare zu treffen.
Autor: Werner Jany
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