Deutschland muss bis Juni die EU-Urheberrechtsrichtlinie umsetzen. Die „angemessene Beteiligung“ von Autoren und Künstlern, die im deutschen Urheberrecht schon seit 2002 festgeschrieben ist, bleibt bisher überwiegend ein Traum. Unterstützt die jetzige Novelle Kreative wirksam darin, eine angemessene Vergütung notfalls vor Gericht einzuklagen? Ein Gespräch mit Urheberrechtsanwalt Victor Struppler.
17. Mai 2021 von Redaktion
kuk: Herr Struppler, seit fast 20 Jahren gibt es das mehrfach überarbeitete „neue“ Urhebervertragsrecht. Kurz vor der nächsten Novelle liest man in den Medien von Urheber*innen wie der Schauspielerin Nina Vorbrodt, die ihre Rechte auf eine angemessene Vergütung recht selbstbewusst durchsetzen …
Victor Struppler: Ja, das ist gut und dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die Tagespresse berichtet über bekannte Filmschauspieler*innen oder gefeierte Kameraleute. Man darf aber nicht übersehen, dass es die „Bestsellerfälle“ sind, über die da berichtet wird, mit ganz eigenen juristischen Regeln. In der Masse wichtiger sind aber die vielen „kleinen Fälle“, bei denen die Vergütung der freischaffenden Kreativen oft zu niedrig ist.
Inwiefern werden Bestsellerfälle anders behandelt?
Wir hatten seit 1965 einen „Bestselleranspruch“ im Urheberrechtsgesetz, der 2002 reformiert wurde und nun zwei Regelungen hat: § 32 a UrhG ermöglicht eine „angemessene weitere Beteiligung“, wenn sich mit einer konkreten Verwertung ein „Missverhältnis“ zwischen der Vergütung des Urhebers und den Einnahmen des Verwerters gebildet hat. Wenn also, wie in Ihrem Beispiel, eine Schauspielerin zwar eine vielleicht hohe Vergütung erhalten hat, die Serie aber so erfolgreich ist, dass diese Vergütung im Nachhinein ein gutes Stück zu niedrig war. Solche spektakulären Verfahren, bei denen es um erfolgreiche und bekannte Titel geht und bei denen hohe Nachzahlungen im Raum stehen, werden dann gerne von der Presse aufgegriffen.
Die andere Regelung, § 32 UrhG, sollte eine von Anfang an angemessene Vergütung ganz generell absichern. In manchen Bereichen wird die breite Masse der Kreativen von vornherein nicht angemessen vergütet. Für Unternehmen mit vielen Verträgen summiert sich das dann zu durchaus spürbaren Summen. Für den Kreativen bildet sich aber kein „Missverhältnis“ im rechtlichen Sinn, weil die Differenz der angemessenen zur real gezahlten Vergütung im Einzelfall meist gering ist. Einerseits bleibt damit nur der eine Anspruch nach § 32 UrhG, andererseits überlegen es sich die Kreativen zweimal, ob sie deswegen ihren Auftraggeber in Anspruch nehmen wollen.
Warum überlegt man es sich zweimal, seine Rechte zu wahren?
Nun, man sendet eine ganze Reihe an Signalen aus und muss es sich auch noch leisten können, notfalls vor Gericht zu gehen. Das Gesetz ist in § 32 UrhG darauf ausgelegt, einen bereits geschlossenen Vertrag zu ändern, wenn die Vergütung nicht von vornherein angemessen war. Ein solches Änderungsverlangen kommt dann „hinterher“, man hält sich zwangsläufig nicht an den – nicht angemessenen! – Vertrag. Aus dieser Notwehrsituation heraus gerät man oft in ein schlechtes Licht bei seinem Vertragspartner. Und der kann das kaum „sportlich nehmen“, weil er oder sie befürchten muss, dass „alle kommen“, wenn man einem oder einer Urheber*in nachgibt. Es war bei der Urheberrechtsnovelle 2002 absehbar, dass es einen Konsolidierungsprozess geben muss, bis die Kreativen angemessener vergütet werden. Der hat aber in dieser Form nicht stattgefunden, im Gegenteil. Urheber*innen kämpfen um den Werterhalt ihrer Arbeit, an die erhofften höheren Vergütungen ist kaum zu denken.
Wo liegen Missverhältnisse?
Übersetzer*innen werden zum Beispiel nach der übersetzten Textmenge bezahlt, daneben soll es eine Beteiligung an den Buchverkäufen geben. Die „Textmengenvergütung“, das Normseitenhonorar, stagniert allerdings seit Jahren. Wegen der Inflation haben Übersetzer*innen heute real weniger „Kaufkraft“, als früher. Das Gesetz ist auf „Beteiligungen“ ausgerichtet, die aber eine Stagnation der Normseitenhonorare nicht ausgleichen können – und dafür auch nicht herhalten, sondern die Einkommenssituation real verbessern sollten.
Auch viele Verwerterunternehmen haben Probleme. Die Buchpreise sind beispielsweise zu niedrig, die Verlage haben es nicht geschafft, das „Mehr“, das für eine angemessene Vergütung in der Breite nötig wäre, an die Kunden weiterzugeben und „wir Kunden“ haben schon auch unseren Anteil an der Misere.
Wenn dann jemand „hinterher“ mehr verlangt, stößt dass also nicht auf Freude.
Ja. Es liegt auf der Hand, dass das Probleme mit sich bringt. Man bekommt es mit der Geschäftsführung und „den Juristen“ zu tun. Viele fürchten dann zusätzlich, dass diese Probleme nicht eingegrenzt werden können. Der zuständige Lektor bei Verlag X ist vielleicht morgen der Lektor im Verlag Y, er tauscht sich mit Kollegen aus und so weiter. Nahezu alle, die ich als Anwalt in Änderungsverlangen berate, haben diese Bedenken und wiegen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ab, ob sie ihre Rechte wahren. Der „einfache Anspruch“, der ja gerade kein Missverhältnis voraussetzt, läuft damit leer.
Aus Angst vor „Blacklisting“ akzeptiert man also schlechte Honorare?
Ich meine, dass der Begriff hier schlecht passt. Wenn jemand die zu niedrigen, angebotenen Honorare nicht akzeptiert, wird er nicht beauftragt, wenn es einen billigen Ersatz gibt. Verlangt nun jemand hinterher „mehr“, wird er oder sie wahrscheinlich ebenfalls in der „Zu-teuer-Schublade“ landen, das kann man auch ganz wertungsfrei sehen. Beides verstehe ich nicht als Blacklisting. Schwierig wird es, wenn sich unangemessene Systeme verfestigen.
Wäre ein Urhebervergütungsgesetz mit konkreten Vorgaben ein Ausweg?
Der Gesetzgeber sah sich selbst in der sehr breit gestreuten Medienbranche dazu nicht in der Lage. Er hat aber 2002 das Instrument der gemeinsamen Vergütungsregeln geschaffen.
Die Branchenverbände sollten die Vergütung selbst regeln, die freiwillig eingehalten würde …
… was nach und nach geschah, einige Unternehmen oder ganze Branchen beteiligen sich aber nicht daran.
Aber dann könnten die Kreativen doch Klage erheben.
Womit wir wieder am Anfang der Geschichte wären. Und da kommt eben doch das gefühlte Blacklisting ins Spiel und verstärkt die Effekte: Wenn aus diesem Grund niemand die angemessene Vergütung einfordert, entsteht bei den Unternehmen der Eindruck: „Geht doch!“. Der Konsolidierungsprozess bleibt aus, der „Markt“ kann sich mit dem Impuls des Gesetzgebers nicht bereinigen und versagt.
Das kling ernüchternd.
Man darf aber auch eines nicht vergessen: Die Regelungen sind kompliziert, erst nach und nach hat sich einiges vor den Gerichten geklärt, dank mutiger Kreativer, die nicht wussten, welchen Schaden sie sich damit zufügen könnten. In manchen Fällen war das Tischtuch schon vorher zerschnitten und einige der Klagen waren emotional ordentlich aufgeladen. Trotzdem hat sich in den vergangen 20 Jahren einiges getan.
Raten Sie Urheber*innen also, ihre Ansprüche in jedem Fall durchzusetzen? Und wenn nicht, wäre das nicht eine Form von präventivem Blacklisting?
Das Ziel einer guten Beratung ist, zu einer eigenständigen Entscheidung zu kommen. Ich kläre darüber auf, wie die Rechtslage ist und wie die Auswirkung auf die Vergütung momentan und künftig wäre, das alles ist nicht trivial. In fast allen Beratungen ist es dann der oder die Urheber*in, die anspricht, ob sie auf künftige Aufträge dieses Auftraggebers angewiesen ist und welche Auswirkungen sich daraus ergeben könnten. Manchmal macht der Ton die Musik. Nach der Reform 2002 waren Streitigkeiten grundsätzlicher, inzwischen ist so manches geklärt und die Auswirkungen lassen sich leichter einschätzen. Auch der andere Teil muss sich nicht mehr so persönlich angegriffen fühlen. Aber es gibt weiter Defizite, das darf man nicht verschweigen.
Bis Juni muss Deutschland die EU-Urheberrechtsreform in nationales Recht gießen. Wäre eine Verbandsklage eine Lösung? Dass also die Verbände für die Kreativen eine „generell angemessene Vergütung“ verfolgen können?
Es kommt meines Erachtens sehr darauf an, wie das konkret ausgestaltet wird.
Der Vorteil aus Sicht der Kreativen wäre, dass sie sich nicht wie in Einzelverfahren exponieren müssten. Wenn Entscheidungen in solchen Verfahren eine Breitenwirkung hätten und Vertragsregelungen, die nicht angemessen sind, aus allen Musterverträgen gestrichen werden müssten, würde das zu der Bereinigung führen, die sich nach den Einzelverfahren unzureichend eingestellt hat. Man könnte auch besser kontrollieren, ob das in der Praxis umgesetzt wird, weil selbst bei kleineren Abweichungen eine neue Klage drohen würde. Und ich bitte, „Klage“ in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass wahrscheinlich mit der reinen Möglichkeit einer Klage die teilweise erlahmten Bemühungen um einen Branchenkonsens wieder Fahrt aufnehmen dürften. Die Verbände haben auch sehr gut im Blick, wo es ganz praktisch gesehen Probleme gibt und könnten das zielgerichtet und konstruktiv angehen.
Das klingt doch nach einer guten Lösung.
Solche Verfahren bedeuten aber auch eine sehr große Verantwortung, weil sie ja „für alle“ gelten sollen. Die Gerichte betonen gerne, dass sie für „gerechte Preisfindungen“ nicht geeignet sind, es bräuchte also klare Vorgaben. Auch dann gäbe es die Gefahr eines – auch gut gemeinten – Fehlurteils. Ein Urteil dürfte keine Begrenzung der Vergütung nach oben mit sich bringen und müsste Rücksicht darauf nehmen können, dass es im Einzelfall Besonderheiten geben kann. Und man kann darauf wetten, dass es immer jemanden geben wird, der mit dem Ergebnis absolut unzufrieden ist. Die bisherigen Verfahren haben lange gedauert, bis eine neue Verfahrensart zu Änderungen führt, kann es sich hinziehen. Nicht zuletzt müsste der Einzelne immer noch selbst aktiv werden, wenn sich nicht alle Verträge automatisch ändern. Das Problem, das gefühlte Blacklisting nur zu verlagern, müsste also gelöst werden.
Wie ließe sich die Position von Urheber*innen noch stärken?
Schön wären verlockendere Anreize an die Verwerterunternehmen, gemeinsame Vergütungsregeln aufzustellen. Gesetzesänderungen, um hier mehr Druck auszuüben, sind in manchen Branchen völlig verpufft. Es gibt in manchen Branchen Probleme mit zu kurzen Verjährungsfristen für die Änderungsansprüche. Wenn zwischen dem Vertrag und dem Beginn der Auswertung viel Zeit liegt, kann man nicht abwarten, ob überhaupt etwas bei einer Vertragsänderung „rumkommt“ oder ob sich die Hoffnung auf weitere Aufträge erfüllt, ohne in die Verjährungsfalle zu tappen. Großzügigere Fristen könnten ein Anreiz sein, mit gemeinsamen Vergütungsregeln aktiv Rechtsfrieden zu schaffen.
Vergütungsansprüche als gesetzliche Ansprüche auszugestalten, kommt den Kreativen zupass, man sollte damit aber sorgsam umgehen.
Eine gute Sache ist, dass die Verbände – mit viel Aufwand! – die Selbstermächtigung der Kreativen fördern und in der Breite über rechtliche Fragen aufklären. Das ist wichtig, um Probleme selbstbewusst und fundiert ansprechen zu können. Auch Richter und Mitarbeiter der Verwerterunternehmen haben gelegentlich noch ein gewisses Unverständnis für die Probleme. Der Wert urheberrechtlichen Schaffens muss im Interesse aller viel stärker in den Vordergrund gerückt werden. Ein Streamingportal oder ein Verlag dürften gerne einmal mit einem „Wir vergüten nach einer allgemeinen Vergütungsregel“ offensiv für sich werben, vielleicht erfindet mal jemand ein „Fairnesssiegel“. Das Problem muss auch von uns als Endkunden gesehen werden, damit ein Umdenken einsetzt.
Herr Struppler, vielen Dank für das Gespräch!
Victor Struppler ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in der Kanzlei Beisler & Struppler in München
Fragen: Valentin Döring
Die Autor*innen: Redaktion des Magazins kuk
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