Mit dem Tod von Ursula Bräuning ist die Gründung des Verbands deutscher Schriftsteller*innen (VS in ver.di) leise, aber endgültig in Chroniken und Geschichtsbücher gesunken. War die ehemalige Geschäftsführerin doch die Letzte, für die die Anfangsjahre des Schriftstellerverbandes und dessen frühe Akteur*innen erlebte Erfahrung bedeuteten. Wissend, geradeheraus, wie es ihre Art war, gab sie lange bereitwillig Auskunft.
Ursula Bräuning bleibt zu Recht als muntere, resolute und kommunikative Person in Erinnerung, die Ziele verfolgte, sich einsetzte, Kontakte knüpfte und pflegte. Ein großer Teil dieser Netzwerke betraf Schriftstellerinnen und Übersetzer, die im Leben von Ursula Bräuning immer eine Hauptrolle spielten, ihr „Herzensangelegenheit“ waren.
Ein gutes Gedächtnis, Struktur und Akkuratesse halfen ihr in Zeiten, als noch Briefe und Telefon die Hauptkommunikationsmittel waren. Von 1973 bis 1975 war das unbedingt so, als Ursula Bräuning dem jungen bundesdeutschen Schriftstellerverband als Geschäftsführerin auf die Beine half. – Eine wichtige Zeit für den 1969 gegründeten Verband, der mit Heinrich Böll die „Einigkeit der Einzelgänger“ proklamiert und ein „Ende der Bescheidenheit“ ausgerufen hatte. Ganz Handfestes stand auf der Agenda: eine Novellierung des Urheberrechts ebenso wie eine berufseigene Altersversorgung für Schriftsteller*innen, faire Verlagsverträge, aber auch Tarife für freie Mitarbeiter*innen bei Rundfunk und Fernsehen.
Um solche Forderungen durchzusetzen, hatten sich Schriftsteller, Übersetzerinnen, Kritiker und ihre Autorenverbände nicht nur selbst zusammengeschlossen, sondern ab 1974 auch unter das Dach der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier begeben – ein Schritt, der bis heute kontrovers debattiert wird. Ursula Bräuning war fest von dessen Richtigkeit überzeugt und blieb es ein Leben lang. Es sei das klare „Verdienst der Alten, der Mahleins und Lattmanns und der vielen anderen“, dass der VS Bestand und Zukunft habe. Denn „ohne das feste Gefüge einer Gewerkschaft wäre der Verein nach einigen Jahren zerstritten wieder auseinandergefallen“, schrieb Ursula Bräuning 2009, im 40. Jahr des VS, in einem Brief an den damaligen VS-Bundesgeschäftsführer in ver.di.
Im Gespräch konnte sie lebhaft davon berichten, wie sie im Wohnzimmer des damaligen Vorsitzenden Dieter Lattmann hunderte Briefe an Mitglieder des Verbandes deutscher Schriftsteller gefaltet und adressiert habe. Sie erinnerte sich auch nach fünfzig Jahren noch an gemeinsame Bahnfahrten, weil Sitzungen auch an den Wohnorten der Vorstandsmitglieder abgehalten wurden und an die Kongresse, die sie vorbereiten half. Wenn sie Namen aus der Gründergeneration des VS – Böll, Grass, Drewitz, Walser, Lenz – las oder hörte, fiel ihr „zu jedem sofort eine Geschichte ein“.
Wohl und Wehe von Schriftstellerinnen und Autoren bestimmten das Leben der „roten Ursel“, wie sie nicht nur ihrer Haarpracht und ihrer Berliner Herkunft wegen genannt wurde, schon früh. Freilich war sie über 60 Jahre lang auch mit einem Literaten verheiratet. Als sich beide kennenlernten, arbeitete Ursula als Chefsekretärin im DDR-Verlag Volk und Welt, Herbert als Lektor und Übersetzer. Nach dem 17. Juni 1953, auch durch Kontakte zum Ostbüro der SPD in Westberlin, gelangten die Eheleute zunehmend in Opposition zum Staat, wurden 1956 beim Versuch, Material nach dem Westen zu schmuggeln, verhaftet und saßen danach für Jahre unter schlimmen Bedingungen im Gefängnis.
Gleich nach ihrer Flucht in die Bundesrepublik suchte sich Ursula erneut eine Verlagsarbeit, erst in Hamburg, später in München. Hier schrieb ihr Mann regelmäßig für eine Zeitschrift, als der VS Mitte der 1970er Jahre beschloss, seinen Sitz zur Gewerkschaftszentrale nach Stuttgart zu verlegen. Geschäftsführerin Bräuning wollte keinesfalls weg aus Bayern. Deshalb wechselte sie 1975 zum Autorenversorgungswerk der VG-Wort. Als langjährige Leiterin kümmerte sie sich dort ganz direkt um die soziale Absicherung freier Schriftstellerinnen und Schriftsteller. 1985, um ihren Renteneintritt, erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Renommierte Schriftsteller hatten sie dafür vorgeschlagen.
Auch danach blieb sie aktiv, engagierte sich als Gewerkschafterin, trat an ihrem Wohnort Germering in Debatten und Lesungen, als Zeitzeugin in Schulen auf, las viel. 2019 kam sie 91-jährig als älteste Teilnehmerin zum Jubiläums-Kongress des VS nach Aschaffenburg, verfolgte Debatten und neue Entwicklungen mit wachem Interesse.
Erst die Corona-Pandemie schaffte es dann, ihr sorgsam am Laufen gehaltenes „janzet Jefüge“ zu unterminieren, wie sie der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Die Kontakthungrige kam nicht mehr unter Menschen. Die Isolation setze ihr zu, beeinträchtigte ihr bis dahin so exzellentes Gedächtnis, berichteten befreundete Nachbarn der ver.di-Redaktion Kunst+Kultur online.
Nun ist Ursula Bräuning am 31. August 2022 im Alter von 94 Jahren gestorben. „Auch wenn bei mir die Zukunft nur noch kurz und die Vergangenheit so gewaltig ist – so ist das Leben!“ hat sie mit gut leserlicher Handschrift unsentimental vor Jahren an ver.di geschrieben. Und doch gleich den Wunsch angefügt: „Vergeßt uns nicht.“
Helma Nehrlich bezeichnete Ursula Bräuning als "das letzte leibhaftige Gedächtnis der Anfangsjahre des Schriftstellerverbandes", mehr dazu weiter unten im zugehörigen Beitrag von Helma Nehrlich für das Magazin kuk.
Auch das Autorenversorgungswerk der VG-Wort trauert um seine langjährige Leiterin, hier gibt es einen Nachruf.
6. Mai 2020 von Helma Nehrlich im Magazin kuk
Unauffällig zu sein, in der Menge unterzugehen, ist die Sache von Ursula Bräuning nicht. So war die «rote Uschi» auch 2019 als Ehrengast auf dem Jubiläumskongress des VS in Aschaffenburg sehr präsent. Wer diese zugewandte, kommunikationsfreudige alte Dame eigentlich ist, dürfte sich mancher gefragt haben. Das letzte leibhaftige Gedächtnis der Anfangsjahre des Schriftstellerverbandes, lautet die Antwort.
Tatsächlich war Ursula Bräuning extra aus München angereist, um den 50. Gründungstag des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) mitzufeiern. Sekundiert von Nenn-Enkelin Miriam studierte sie Anträge, verfolgte Debatten, traf sich zu einem Gespräch mit der scheidenden Vorsitzenden Eva Leipprand, hatte Material fürs ver.di-Archiv im Gepäck. Inzwischen ist die kleine, noch immer energische Person 92 Jahre alt. Dem VS war sie von Beginn an verbunden. 1973 bis 1975 sorgte sie als Geschäftsführerin des Verbandes dafür, dass «alles Hand und Fuß hatte».
Die drei Jahre Bräuningsche Amtszeit waren wichtige für den bundesdeutschen Schriftstellerverband. Erst 1969 war er gegründet worden und hatte die vorherigen 13 Autorenverbände abgelöst. «Einigkeit der Einzelgänger» war von Heinrich Böll als Ziel proklamiert worden, wie auch das «Ende der Bescheidenheit». In seiner bekannten Rede auf dem Gründungskongress hatte der Altmeister gar die Idee von «Streik» aufgebracht, mit dem Autoren, Übersetzer, Kritiker, Lektoren eine Zeit lang «ihre merkwürdigen Sozialprodukte der Gesellschaft vorenthalten» könnten, um klarzumachen, «welche Mammutindustrie wir füttern, eine Industrie, die uns ihre Bedingungen diktiert». Böll hatte ein „Zwölf-Punkte-Programm“ des VS zur Verbesserung der Situation der Schriftsteller*innen vorgeschlagen, um dessen Umsetzung sich der gewählte Vorstand mit Dieter Lattmann an der Spitze energisch kümmerte. Um eine Novellierung des Urheberrechts ging es ebenso wie um eine berufseigene Altersversorgung für Schriftsteller*innen, um faire Verlagsverträge, aber auch um «Tarifverhandlungen» für freie Mitarbeiter*innen bei Rundfunk und Fernsehen.
Bald wurde klar, dass Derartiges von einem – wenn auch renommierten – Berufsverband allein nicht zu schaffen sein würde. «Wir brauchen einen `IG Kultur`», hatte Martin Walser bereits auf dem Schriftstellerkongress 1970 proklamiert. Nach Partnersuche, kontroversen Debatten und vorherigen Testabstimmungen beschlossen sowohl der Verband deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ) als auch der VS auf dem zweiten Kongress im Januar 1972 den Beitritt ihrer Mitglieder zur Industriegewerkschaft Druck und Papier zum 1. Januar 1974.
In diesen turbulenten Zeiten – «die Kongresse sind alle gut gelaufen» – also führte Ursula Bräuning die Geschäfte des VS. Wichtige Protagonisten im Vorstand neben Dieter Lattmann (1926 – 2018) waren Helmut M. Braem (1922 – 1977, von 1964 bis 1976 Vorsitzender des Übersetzerverbandes), Ingeborg Drewitz (1923 – 1986), Eberhard Horst (1924 – 2012) und Thaddäus Troll (eigentl. Hans Bayer, 1914 – 1980). Die Arbeit des Verbandes wurde wesentlich von München aus geführt, wo Lattmann und Bräuning wohnten. «Aber wir trafen uns zu Vorstandssitzungen auch im Schwäbischen bei Troll», erinnert sich Bräuning, «angereist wurde immer mit dem Zug». Als Geschäftsführerin hatte sie die Tagesordnung vorzubereiten, Protokolle zu führen und für Ordnung zu sorgen, damit die Dinge nicht zu kreativ «aus dem Ärmel geschüttelt» wurden. So sei es recht diszipliniert zugegangen in den Sitzungen, mit gefülltem Pensum. Speziell die einzige Frau im Vorstand, «Ingeborg Drewitz, die aus Berlin angereist kam», sei jedoch «immer für eine Überraschung gut» gewesen, «hatte oft unkonventionelle Ideen. Und wir übrigen waren bei ihr auf alles gefasst.»
Um den Anschluss an die Gewerkschaft habe es in der Mitgliedschaft geteilte Positionen gegeben. «Viele Schriftsteller wollten nicht einsehen, dass sie unbedingt in so eine große Organisation müssen. Aber wir haben immer wieder gesagt: Ohne die Kraft und die Strukturen einer Gewerkschaft sind unsere Ziele kaum durchzusetzen.»
Dass sie nach dem Beitritt selbst zu Jahresbeginn 1974 Beschäftigte der IG Druck und Papier wurde, war wohl für beide Seiten «gewöhnungsbedürftig». Anfangs seien die Schriftsteller ohnehin eher als bunte Vögel in der traditionsreichen Druckergewerkschaft gesehen worden, die seinerzeit noch eine «ziemliche Männerdomäne» bildete. Vorsitzender war der hoch anerkannte Leonhard Mahlein (1921 – 1985). Doch habe man sich «ganz gut aneinander gewöhnt, auch wenn es etwas gedauert hat». Bräuning selbst war eine energische Verfechterin der Gewerkschaftsanbindung, die «mehr Kraft hinter die Forderungen und die sozialen Anliegen setzen konnte». Sie selbst, die in den 1960er Jahren ursprünglich aus Ostberlin schließlich nach München gekommen war, hatte sich stets im Metier von Schriftstellern und Autoren engagiert. Es war ihr «Herzensanliegen», sagt sie.
Dass etwa mit der Urheberrechtsnovelle die Bibliothekstantieme in Kraft trat, freut sie noch heute sehr. Die Hälfte dieses «Bibliotheksgroschen» fütterte das Autorenversorgungswerk und den dortigen Sozialfonds. In die Zeit ihrer Geschäftsführung fielen auch Umfragen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Autoren, erinnert sie sich, die in den «Künstlerbericht» der Bundesregierung eingingen und letztlich Veränderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht bewirkten. Auch die Ausarbeitung von Musterverlagsverträgen beschäftigten den VS, die Schaffung einheitlicher Rahmen lief jedoch eher zäh. Dass im Juni 1974 auch das Tarifvertragsgesetz novelliert wurde und Pauschalisten von Rundfunk und Fernsehen mit dem legendären § 12 a ins Tarifrecht einbezogen werden konnten, erinnerte Ursula Bräuning in unserem Gespräch gerade nicht – «es ist ja auch alles schon so lange her».
Gut entsinnen kann sie sich dagegen daran, dass der Schriftstellerverband und die neu geschaffene «Bundessparte Übersetzer im VS in der IG Druck und Papier» bald auch räumlich zur Gewerkschaft nach Stuttgart ziehen sollten. «Ich wollte aber von München nicht weg, mein Mann schon gar nicht, der als Journalist beim `Gong` (Programmzeitschrift d.R.) gearbeitet hat. Deshalb wechselte ich dann zum Autorenversorgungswerk der VG Wort, die saßen ja in München. Und dort wollten die Schriftsteller ohnehin gern ein Bein drin haben.» Diese Funktion übernahm Ursula Bräuning. Zuvor hatte sie Ursula Brackmann (1928 – 2019) als ihre Nachfolgerin eingearbeitet: «Wir waren uns persönlich noch nicht begegnet. Aber sie kam ja vom Übersetzerverband und kannte sich aus mit Verlagsverträgen, Urheberrecht und sozialen Fragen. Da war die Übergabe kein großes Problem. Alles ging ziemlich nahtlos.»
Ursula Bräuning selbst kümmerte sich dann «nach wie vor um das Wohl der Autoren» und blieb bis zur Verrentung beim Autorenversorgungswerk der VG Wort.
Ihren jüngsten Geburtstag, sie wurde am 14. April 1928 geboren, musste sie coronabedingt ohne Gäste verbringen. Die Isolation setzt ihr zu. Doch die Kinder einer Nachbarsfamilie brachten ihr einen Kuchen vor die Tür. Und sie hatte so viele Anrufe, dass etliche Gratulanten nicht direkt durchkamen und auf dem AB landeten. Die kuk-Redaktion hat sich den Glückwünschen telefonisch angeschlossen.
Die Autorin: Helma Nehrlich arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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