Bücher schützen und: lesen, lesen, lesen!

19.08.2021
Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg Hier wurden Bücher aus offenbar rechtsradikalen Motiven zerstört

Am 27. Juli 2021 waren sie in der Zentralbibliothek Berlin Tempelhof-Schöneberg gefunden worden: Sieben Sachbücher in einem Ausleihkorb. Allesamt unbrauchbar gemacht. Jemand hatte ganze Seitenbündel wahllos herausgetrennt. Und war doch gezielt vorgegangen: Sämtliche Titel widmen sich der Auseinandersetzung mit radikalen Rechten oder blicken auf Ikonen und Theorien der Arbeiterbewegung. Ein verheerendes Signal rechtsgerichteter Zerstörungswut. Es durfte so nicht stehenbleiben.

Öffentlichkeit müsse her und Debatte, entschied man diesmal. Schon öfter habe es im und um die Zentralbibliothek, das »Eva-Maria-Buch-Haus« Schmierereien und Gesprühtes mit rechten Inhalten gegeben. Unbefugt und ungefragt hätten Unbekannte auch Broschüren und Flyer mit rechtspopulistischem, islamophobem oder homophobem Inhalt in die Auslagen der Bibliothek gemischt. »Wir haben das dann immer beseitigt und zur Anzeige gebracht«, sagt Dr. Boryano Rickum, der die Stadtbibliothek in Tempelhof-Schöneberg leitet – fünf Häuser und eine Fahrbibliothek. Die Vorfälle hätten sich ausschließlich und auffällig auf die Zentralbibliothek konzentriert, das Eva-Maria-Buch-Haus in Tempelhof, benannt nach einer jungen antifaschistischen Widerstandskämpferin, die 1943 hingerichtet wurde.

 
Dr. Boryano Rickum leitet seit 2017 die Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg

Als der Azubi Ende Juli die zerstörten Bücher fand, »da war das für mich und uns alle doch noch einmal eine andere Qualität«, sagt der Bibliotheksleiter. Freilich habe man die notwendigen Dienstwege beschritten, erstattete neuerlich Anzeige gegen Unbekannt, meldete das Vorkommnis an Amtsleiter und Stadtrat und dem Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin. Man debattierte in den Bibliotheksteams. Aufgewühlt prangerte Rickum die Tat auch auf seinem eher privaten Twitter-Account an und erhielt unerwartet große Resonanz. Der Bezirk entschloss sich danach zu einer Pressemitteilung. Kein leichter Schritt. Wollte man Täter oder Täterin doch keine zusätzliche Publizität verschaffen. Doch wuchs die Idee, durch die Bekanntgabe einen »wunderschönen Akt prodemokratischer Bewusstseinsbildung« auszulösen – für die zerstörten Bücher zu werben und vor allem: sie zu lesen.

Die Werte zwischen den Buchdeckeln

Das Eva-Maria-Buch-Haus in der Götzstraße ist ein offenes. Es beherbergt eine Freihandbibliothek, in der 90.000 Bücher und andere Medien ausgeliehen und genutzt werden können. Dieses Angebot ist für Rickum und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber längst nicht alles: »Wir sind vor allem ein Ort der Begegnung.« Die Bibliothek bietet – in Corona-Zeiten leider eingeschränkt – eine Vielzahl an Lesungen, Workshops und anderen Veranstaltungen für alle Generationen. Leute kämen hierher um zu schmökern, zu arbeiten, Hausaufgaben zu erledigen, Abschlussarbeiten zu schreiben oder jemanden zu treffen. Dass mitunter auch Bücher beschädigt würden oder welche verschwänden, sei nicht auszuschließen – »wir sind eine Gebrauchsbibliothek«. Ihr Wert läge in Informationen und Wissen, die zwischen den Buchdeckeln geboten würden, nicht in bibliophilen Kostbarkeiten.

 
Ort der Begegnung und Gebrauchsbibliothek

Dass mutwillig mehrere Bände regelrecht zerstört wurden, sei so noch nie vorgekommen. Der oder die Täter müssten die Bücher nach der Aufstellungslogik auch aus verschiedenen Regalen im Umfeld der Sachgebiete Geschichte, Soziologie, Politik oder bei Biografien entnommen haben. Da der Bücherkorb später in der Nähe der Toiletten gefunden wurde, vermuten die Beschäftigten dort den »Tatort«. Dass die Polizei inzwischen nähere Erkenntnisse hätte, ist dem Bibliothekschef nicht bekannt. »Für mich ist das vor allem ein versuchter Angriff auf die Meinungsfreiheit«, sagt er.

Der Kulturstadtrat des Bezirkes, Matthias Steuckardt (CDU), stärkt dem Bibliotheksteam den Rücken. Bezirkliche Kulturarbeit gerate immer häufiger ins Fadenkreuz rechter Angriffe, konstatiert er. Politische Neutralität sei angesichts zunehmender Aggressivität keine Option, es handele sich um einen »klaren Angriff auf die Demokratie«, dem sich die Öffentlichkeit entschlossen entgegenstellen müsse. Er sieht Bibliotheken als »Leuchttürme des Wissens und der Freiheit«, die es zu verteidigen gelte.

Bundesweite Signale

Die Resonanz auf die öffentliche Mitteilung war bereits groß. Tageszeitungen brachten Berichte, selbst dpa verbreitete die Meldung. Der Berliner Kultursenator Lederer und etliche Abgeordnete erklärten sich solidarisch. Unbekannte wollten spenden. Autoren der Bücher und ihre Verlage boten an, die Titel umgehend zu ersetzen oder aus ihnen zu lesen. Eine »Sonderpräsentation« der sieben Bücher wird erwogen. Und der Vorschlag machte die Runde, dass auch andere Bibliotheken bundesweit ihre Nutzerinnen und Nutzer sensibilisieren sollten. »Gerade habe ich ein Foto aus der Stadtbibliothek Neuss zugeschickt bekommen. Die haben dort genau das gemacht und die sieben Titel ausgestellt – großartig«, freut sich Boryano Rickum.

 

Eine breite Diskussion habe gerade erst begonnen. Der Deutsche Bibliotheksverband habe sich gemeldet, im Verbund der öffentlichen Bibliotheken der Hauptstadt erwäge man bezirksübergreifende Aktivitäten. Und natürlich sei man auch mit Behörden und Organisationen im Gespräch, um die Bibliothek und ihr Umfeld künftig besser gegen rechte Angriffe zu schützen.

Die stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin von Berlin-Brandenburg Andrea Kühnemann verweist auf zahlreiche ver.di-Mitglieder, die in den Berliner Bibliotheken arbeiten. Ihnen will sie den Rücken stärken und legt allen die Lektüre der verletzten Bücher ans Herz – »aus Solidarität und weil es wichtig ist, sich immer wieder mit Rechtsradikalen und ihren geistigen Brandstiftern auseinanderzusetzen«. Auch sie empfiehlt, rechte Militanz gesellschaftlich in die Ecke zu stellen. Und: Lesen, lesen, lesen!


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