Musik

Zukunft von Musikschullehrkräften: Bundespolitische Reaktionen

Eine Einordnung von Lisa Mangold zu den Folgen des Herrenberg-Urteils für Honorarkräfte an Musikschulen
04.10.2024

Das sogenannte Herrenberg-Urteil hat die Musikschullandschaft umgepflügt. Jahrzehnte war der Einsatz von Honorarkräften an Musikschulen Praxis. Ein Zustand, der von ver.di bereits lange kritisiert und die Rechtmäßigkeit angezweifelt wurde. Die gewerkschaftliche Forderung: flächendeckende, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Musikschullehrkräften und eine entsprechende Finanzierung durch Kommunen und Länder.

Das Bundessozialgericht stellte 2022 im sogenannten Herrenberg-Urteil fest, dass – mangels unternehmerischer Freiheit einerseits und der Eingliederung in den Betrieb andererseits – echte Selbstständigkeit an einer Musikschule kaum herzustellen sei. Zwar bezog sich dieses Urteil auf einen Einzelfall, doch die Argumentation des Gerichts ist grundlegend und hat einige Reaktionen hervorgerufen.

So fand Mitte Juni 2023 ein Fachgespräch über den Erwerbsstatus von Lehrkräften im Bundesministerium für Arbeit und Soziales statt. Bei diesem Fachgespräch stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) aktualisierte Kriterien vor, die für eine unternehmerische Tätigkeit sprechen.

 

Entscheidend ist, dass die Tätigkeit nicht durch Weisungsgebundenheit und Einbindung in fremde Arbeitsorganisation geprägt ist, sondern durch Weisungs- sowie unternehmerische Freiheiten, Chancen und Risiken.

Deutsche Rentenversicherung Bund zum Erwerbsstatus von Lehrkräften

Mögliche Kriterien für unternehmerische Tätigkeit, abgeleitet aus der Entscheidung des BSG vom 28. Juni 2022, können laut DRV u. a. sein:

  • Nur allgemeine inhaltliche Rahmenvorgaben
  • Einfluss auf organisatorische Ausgestaltung der Tätigkeit
  • Mitbestimmung bei Unterrichtsort und -zeit
  • Beteiligung an Kosten z. B. für Unterrichtsräume
  • Möglichkeit des Einsatzes Dritter (Vertretung)
  • Akquise von Schülern und Unterrichtung auf eigene Rechnung
  • Vergütung auch abhängig von variablen Elementen
  • Kein Ausfallhonorar
  • Keine Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung gesonderter Schülerveranstaltungen
  • Keine Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen o. Ä.
  • Keine Meldepflicht für Unterrichtsausfall

Anschließend an das Fachgespräch wurden Arbeitsgruppen initiiert, die mit Blick auf die Kriterien der DRV für verschiedene Bereiche konkretisieren sollten, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen weiterhin Honorartätigkeit möglich ist.

In der AG Musikschulen waren neben ver.di vertreten: Verband deutscher Musikschulen (VdM), Bundesverband Freier Musikschulen (bdfm), Deutscher Tonkünstler Verband (DTKV) sowie ein Vertreter des Deutschen Landkreistages.

Die Arbeitsgruppe verfasste gemeinschaftlich die folgende Stellungnahme, die am 11. September ans BMAS geschickt wurde:

 

Die Arbeitsgruppe sieht kaum Möglichkeiten, dass an Musikschulen weiterhin Honorarkräfte arbeiten.

Die einzigen Konstellationen, die von der AG angedacht wurden, sind 1.) kurzzeitige und kurzfristige Vertretungen, 2.) Projektarbeit, in Abgrenzung zum Regelunterricht und befristet und 3.) Einsatz von Studierenden & Rentner*innen. Darüber hinaus wurde 4.) eine Bagatellgrenze gefordert, wenn eine Musiker*in nur wenig Unterrichtsstunden gibt (ca 3 UE die Woche).

Im Bereich der öffentlichen/kommunalen Musikschulen wurde kein Organisationsmodell identifiziert, in dem sich grundständig freiberufliche Tätigkeit rechtssicher entfalten kann.

 

Honorarverträge sind also in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln. Regulär eingesetzte Honorarkräfte soll es nicht mehr geben.

Im Bereich der privaten und freien Musikschulen können Musikschulen als Genossenschaft oder GbR organisiert werden. Musikschullehrkräfte sind dann Teil der GbR oder Genossenschaftsmitglieder. Des Weiteren wurde in der AG eine Art Agenturmodell diskutiert. Die Idee ist, dass die Agentur Räume vermietet und eine Art Servicepaket anbieten kann (Beratung, Marketing, Verwaltung, …). Der Vertrag kommt zwischen Lehrkraft und Schüler*in zustande. So können Musikschullehrkräfte frei arbeiten.

Und nun?

Die AG fordert einen Maximalzeitraum für den Übergangsprozess bis Ende 2026. Das Papier der Arbeitsgruppe hat keine bindende Wirkung, sondern ist ein Arbeitspapier für das BMAS.

Gewerkschaftliche Perspektive

Die Umwandlung an Musikschulen, hin zu flächendeckender, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung läuft deutschlandweit unterschiedlich gut. In einigen Kommunen war die Festanstellung bereits Usus, andere stellten zum neuen Schuljahr 2024 ihre Lehrkräfte an. Wieder andere versuchen es weiterhin mit Honorarkräften, dies betrifft sowohl öffentliche als auch private/freie Musikschulen.

Gewerkschaftlich engagierte Lehrkräfte und Gewerkschaftssekretär*innen unterstützen quer durchs Land eine Organisierung in den Betrieben, Kundgebungen und Anhörungen. Adressatin ist neben den Musikschulleitungen auch die Politik. Kommunen und Land müssen sich klar zu einer Zukunft des Musikschulunterrichts bekennen, die Finanzierung sichern und eine Festanstellung der Lehrkräfte initiieren. Die Verwaltung muss diesen Schritt tragen und umsetzen.

 

Leider gibt es weiterhin sowohl öffentliche als auch private/freie Musikschulen, die Honorarverträge ausgeben.

Manche Verträge lassen erkennen, dass sich bei der Entwicklung des Vertrags an den Kriterien der DRV für eine unternehmerische Tätigkeit orientiert wurde. Auch hören wir vermehrt von dem Versuch, dass Lehrkräfte künftig Rechnungen schreiben sollen, um eine unternehmerische Freiheit vorzugeben. Doch solange sich an der jeweiligen Praxis an der Musikschule nichts ändert, die Kolleg*innen weiterhin in fremdbestimmte Arbeitsorganisation eingegliedert und weisungsgebunden sind, liegt aus unserer Perspektive eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor.

Eine grundlegende Veränderung der Praxis ist zugleich nicht erstrebenswert. Ein umfassendes musikalisches Bildungsangebot entsteht erst durch das organisierte Bündeln der Fähigkeiten der Beschäftigten. Diese aber setzen einen hohen Grad an Integration in die betrieblichen (Organisations-) Abläufe und fachliche Zusammenarbeit bzw. Koordination voraus. Im Zuge des Bestrebens einer Gestaltung legaler und selbstständiger Tätigkeit an Musikschulen, müsste jedoch genau das ausgeschlossen werden. Aus einer Musikschule würde zwangsläufig einzig eine Vermittlungsplattform für Privatunterricht werden. Eine solche Organisationsform kann jedoch dem öffentlichen Bildungsauftrag keinesfalls mehr gerecht werden.

Der im Papier formulierte Horizont des Übergangsprozess ist aus Perspektive von ver.di zu weit. Die Kolleg*innen brauchen jetzt Sicherheit. In Sachsen und Berlin haben Kolleg*innen gemeinsam mit ver.di systematisch Statutsfeststellungen eingereicht, um diese Rechtssicherheit zeitnah zu erreichen. In der Überzeugung, dass es sich bei der teils jahrzehntelangen vermeintlich freien Honorartätigkeit bereits immer schon um ein arbeitsrechtlich abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat, klagen die Kolleg*innen gegen die dann unrechtmäßige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und für eine faire Weiterbeschäftigung im Rahmen einer festen Anstellung. Der ver.di-Rechtsschutz sowie die Gewerkschaftssekretär*innen vor Ort unterstützen die Kolleg*innen. Alle gemeinsam streiten wir für sichere Beschäftigungsverhältnisse und eine Zukunft der musikalischen Bildung.

Gänzlich unausgesprochen bleibt zudem, dass die Auftraggeber bereits über Jahrzehnte hinweg unzulässig Kosten zu Lasten Dritter abgewälzt haben, es also eigentlich nicht um weitere „Subventionierung“ gehen kann, sondern eigentlich um Rückzahlung gehen müsste.

 

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