Ein Nachruf von Heinrich Bleicher
Auch das letzte Ereignis in seinem Leben, genauer das abschließende, hat er rechtzeitig geplant und solide vorbereitet. Denke ich an die jahrelange Zusammenarbeit mit Dirk von Kügelgen zurück, bleibt, dass er ein feiner, immer verlässlicher Kollege in der gewerkschaftlichen Zusammenarbeit war. Es war eine Freude, mit ihm für die Kunstfachgruppen strukturiert und vorausschauend zu arbeiten. In den letzten gemeinsamen Arbeitsjahren wurde aus dem gut kollegialen auch ein freundschaftliches Verhältnis.
Geboren wurde er mit seiner Zwillingsschwester Carola 1948 in Berlin-Steglitz als Sohn von Else und Bernt von Kügelgen. Die Mutter war freie Journalistin und der Vater – nach der Arbeit an anderen DDR-Zeitungen – als Chefredakteur beim „Sonntag“ tätig. Aufgewachsen ist Dirk in Biesdorf im Osten. Die Eltern pflegten ein offenes, gastliches Haus. Zu Besuch kamen bekannte Intellektuelle, zu denen in Dirks frühen Jahren auch der Kulturminister Johannes R. Becher gehörte. Der war wie er am 22. Mai geboren. Verwunderlich ist nicht, dass Dirk den Weg zur Kultur und damit zum Kulturbund fand, dessen Gründer und Präsident Becher war. Die Ferien wurden mehrfach mit der Familie Gysi verbracht. Dirks wie üblich knappes, aber präzises Urteil über diese Zeit: "Wir haben uns nicht privilegiert gefühlt, aber wir waren es."
Seine Ausbildung begann Dirk mit einer Lehre als Maurer, verbunden mit dem Abitur. Weiter ging es zum Mathematikstudium an der Martin-Luther-Universität. Mit dem Abschluss hatte er die Voraussetzungen, bei der Nationalen Volksarmee als Mathematiker zu arbeiten. Seine dort mögliche Karriere fand ein Ende, als die Schwester in den Westen flüchtete. Vielleicht lag an diesem Wendepunkt aber auch die Chance für Dirk, ein offeneres, intellektuelles Arbeitsleben zu führen, wie er es im Elternhaus kennengelernt hatte.
Mit einer Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Kulturbund begann seine jahrelange Tätigkeit für Künstlerinnen und Künstler und insbesondere für Schreibende. Von 1974 bis 1988 war er beim Kulturbund in unterschiedlichen Positionen tätig. Eine Spitzenkarriere dort blieb im versagt, weil er sich nicht in „eine beobachtende Tätigkeit“ einbinden lassen wollte. Er wechselte zum „Schriftstellerverband der DDR“. Die Arbeit dort hat er sehr gern gemacht. Doch nach einem Jahr fällt die Mauer und auf dem Außerordentlichen Kongress im März 1990 kommt es zu einem Neuanfang mit Rainer Kirsch als Vorsitzendem. Die politische Veränderung der Verhältnisse beenden die Existenz der in „Deutscher Schriftstellerverband“ umbenannten Organisation. Ende des gleichen Jahres wird vom Vorstand die Selbstliquidation beschlossen. Es gibt kein Geld mehr. Dirk kommt die undankbare Aufgabe zu, diesen Prozess zu vollziehen. Als letzter hauptamtlich Angestellter muss er zahlreiche ehemalige Kollegen entlassen. Der Deutsche Schriftstellerverband empfiehlt seinen Mitgliedern, dem Schriftstellerverband in der bundesdeutschen IG Medien beizutreten.
In der IG Medien findet auch Dirk einen Arbeitsplatz. Seine erste Aufgabe ist es, die Strukturen der VS-Verbände in Ostdeutschland aufzubauen. 1992 wird er Fachgruppensekretär der bildenden Künstler*innen in der IG Medien. In die folgende Zeit seiner Tätigkeit fällt die Arbeit an dem großen Projekt der Gruppe um ein „Vertragswerk Bildende Kunst“ und die Aktivitäten zur „Gelben Linie“. 1996 übernimmt er die Leitung des „Instituts für Bildung, Medien und Kunst“ in Lage-Hörste. Im Rückblick bezeichnet er diese Tätigkeit als schönste in seiner beruflichen Laufbahn. In diese Zeit fällt auch ein bundesweit beachteter Plakatwettbewerb, der sich professionell mit dem Thema Arbeitslosigkeit befasste.
Mit der Bildung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bietet sich für Dirk die Chance, wieder in seine geliebte Heimatstadt Berlin zurückzukehren. Dort ist er seit 2002 Fachgruppenleiter der Fachgruppe Musik. Seit dieser Zeit bestand eine enge, unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Dirk und mir. Von der Vielzahl seiner Aktivitäten sei besonders der Ratgeber für Lehrkräfte an Musikschulen hervorgehoben. Er war als Sekretär quasi das Rückgrat für die organisatorische Herstellung dieses inzwischen neu aufgelegten Standardwerkes.
Als Bereichsleiter Kunst und Kultur, aber auch als Präsident der Mediensektion von Union Network International war ich in der Zeit unserer gemeinsamen Tätigkeit viel, oft auch weltweit unterwegs. Darüber, dass die Arbeit zuhause darunter leiden würde, musste ich mir keine Sorgen machen. Dirk und auch der Kollege Rudi Zink haben die Stellung gehalten, gemeinsam mit unserer Sekretärin Ariane Blessing. Ihr Kommentar: "Dirk war immer ein höflicher, perfekter Gentleman. Auf alle meine Fragen hatte er die richtige und passende Antwort."
Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld von Dirk war auch die Gestaltung der Homepages der Kunstfachgruppen. Trotz seiner schlechten Augen und Sehstärke war er hier unermüdlich tätig. Das Aushängeschild der Kunstfachgruppen war immer auf dem aktuellen präsentablen Stand. Die Arbeit daran, ebenso wie für den Fachbereich, setzte Dirk auch nach dem Ausscheiden aus seiner hauptamtlichen Tätigkeit fort. Wir waren ihm dafür außerordentlich dankbar und hielten so auch den ständigen freundschaftlich-herzlichen Kontakt. Ein letztes gemeinsames Arbeitskapitel war die Zusammenarbeit zum 150-jährigen Bestehen des Buchdruckerverbandes und zum 15-jährigen Bestehen der ver.di. Er realisierte den Webauftritt „150 Jahre Buchdruckerverband – Vom deutschen Buchdruckerverband zur Gewerkschaft ver.di“.
Sein gesamtes Arbeitsleben, sowohl in der DDR als auch in der BRD, hat Dirk sich unermüdlich dafür eingesetzt zu helfen, das Leben der Künstlerinnen und Künstler, der Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu verbessern. Es ist ihm gelungen, zu einer relativen Verbesserung beizutragen – auch wenn es in beiden Staaten keinen ihn zufriedenstellenden Stand erreicht hatte und hat.
Nach dem Fall der Mauer hatte er sich erhofft, dass es eine bessere DDR geben würde. Die Großdemonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989, direkt vor der Wohnung, die er mit seiner Frau bewohnte, war auch für ihn ein großes Hoffnungssignal. Gern zitierte Dirk, wenn man über diese Zeit sprach, einen Beitrag von Stefan Heym aus dessen Rede: „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen, nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen. Den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit.“ Auf einer weiteren Diskussionsveranstaltung – auch mit Stefan Heym und Egon Bahr – nicht viele Tage danach, erkannte Dirk, dass die Hoffnungen auf eine Konföderation der beiden deutschen Staaten sich nicht erfüllen würde. Doch er setzte seine Arbeit für eine humanistische, antifaschistische Welt in Frieden unermüdlich fort.
Wenn wir uns in den vergangenen Jahren trafen, hatten wir immer schöne, gemeinsame Abende, wo bei einem Glas Wein auch die unvermeidliche Pfeife nicht fehlen durfte. Bei unserem letzten Treffen in diesem Jahr hat er freudig von der Ausstellung über die Kügelgens berichtet. Zu der Geschichte einer Familie in Deutschland, Estland und Russland konnte er aus seinem Besitz Ausstellungsstücke beisteuern.
Wir denken gern, in freundschaftlicher Erinnerung und mit Dank an Dirk zurück, der am 10. September 2024 mit einer Seebestattung seine letzte Reise antrat.